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Neue Hoffnung

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Snowflake
Tunnelexperte


Beiträge: 464


New PostErstellt: 04.07.08, 20:09  Betreff: Re: Neue Hoffnung  drucken  weiterempfehlen

Ne so geht dat nich Uschi!!!!! Du kannst doch nicht wenn´s spannend wird aufhören...tztz

Hach ich warte schon mit Spannung auf die Fortsetzung !







We are something that has never been. And our Love is one that never be ends.
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Uschi-Nessaja
Tunnelexperte


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New PostErstellt: 10.07.08, 17:49  Betreff: Re: Neue Hoffnung  drucken  weiterempfehlen

Kapitel 8

 

Vincent führte Chris durch eine enge Röhre. Es war dunkel und staubig. Chris kam es vor, als sei sie erneut in ihren Traum von letzter Nacht versetzt worden. Sie musste sich selbst kneifen um zu glauben, dass sie dies wirklich gerade erlebte. Sie wanderten durch etliche Gänge, vorbei an Kammern und Orten, die Chris auf eine sehr merkwürdige irritierende Art und Weise vertraut vorkamen. Chris hatte längst die Orientierung verloren und fragte sich, wie jemand sich in diesem Labyrinth zurechtfinden konnte, ohne sich hoffnungslos zu verirren. Vincent hatte offensichtlich keine Schwierigkeiten, seinen Weg zu finden. Er schritt ohne Zögern voran und Chris vertraute voll und ganz seinem Orientierungssinn. Als sie schließlich einen breiten Gang entlang gingen, verlangsamte er seine Schritte und schaute sie fragend von der Seite an. „Du bist so still. Hier unten brauchst du keine Furcht zu haben; dies ist ein absolut sicherer Ort und die Menschen die hier leben, sind sehr freundlich. Du wirst sie mögen.“ Chris schüttelte den Kopf. „Nein, das ist es nicht. Ich habe keine Angst.“ „Was ist es dann?“ fragte er. „Ich fühle mich so merkwürdig; so als ob ich schon hier gewesen wäre. Alles kommt mir seltsam vertraut vor. Das ist ein sehr irritierendes Gefühl.“ Vincent nickte zustimmend. „Das kann ich mir vorstellen. Es muss für dich ...“ Er wurde durch Chris unterbrochen, die plötzlich seinen Arm gepackt hatte und abrupt stehen blieb. Vor ihnen trafen drei Gänge aufeinander und Chris streckte ihren rechten Arm aus. Vincent konnte sehen, dass er zitterte. Sie wies auf den mittleren der drei Gänge und flüsterte mit heiserer Stimme: „Die Kammer der Winde! Da entlang geht es zur Kammer der Winde!“ Sie schaute Vincent erschrocken an und war ganz bleich geworden. „Ja, das ist richtig.“ erwiderte Vincent. Er hielt ihr seine Hand hin und Chris ergriff sie, froh darüber, seine Nähe zu spüren; dies gab ihr Sicherheit. Vincent führte sie in die von ihr gewiesene Richtung und nach einigen Schritten öffnete sich der Gang auf eine lange geschwungene Treppe. Ein heftiger Wind wehte zu ihnen herauf und fuhr in ihre Haare. Chris stand staunend neben Vincent, seine Hand fest umklammert. Vincent beobachtete ihre Reaktion, die Ehrfurcht und das Staunen, was deutlich von ihrem Gesicht abzulesen war. Der Schein zweier Fackeln am Tunneleingang fiel auf ihr Haar und ließ es schimmern wie Kupfer. Erst in diesem Augenblick bemerkte Vincent richtig, wie schön sie war. Dafür hatte er bisher keinen Blick gehabt. Chris drehte ihren Kopf zu ihm herum und ihre Blicke trafen sich. Einen langen Moment standen sie nur so da und schauten sich an. Chris verspürte ein Kribbeln und eine Gänsehaut lief über ihren ganzen Körper. Vincent löste die Spannung, indem er sie fragte: "Stimmt die Wirklichkeit mit deinem Traum überein?" Chris riss ihren Blick mit Mühe von ihm los und sah sich um. "Oh ja, genau so hat es auch in meinem Traum ausgesehen. Ich verstehe es selbst nicht. Hier jetzt zu stehen, das ist ein Gefühl, was ich nicht beschreiben kann." Sie überlegte einen Moment und fuhr dann fort: "Hast du dir schon einmal gewünscht, eine Geschichte aus einem Buch würde Wirklichkeit, weil du sie so sehr geliebt hast?" Vincent lächelte: "Ja, das habe ich. Als Kind träumte ich mich oft in Geschichten wie Das Dschungelbuch oder Die Schatzinsel und erlebte die Abenteuer." "Dann kannst du dir vielleicht vorstellen wie es sein würde, plötzlich wirklich mitten in dieser Geschichte zu sein. So ähnlich ist das Gefühl." Vincent nickte verstehend. "Komm, ich werde dich jetzt Vater vorstellen." Sie gingen den Gang zurück, den sie gekommen waren und wandten sich nach links. Chris hatte ein Wenig Angst vor der kommenden Begegnung. Sie befürchtete, dass sie nicht willkommen sein würde. "Du sprichst immer von Vater. Ist das ein Titel oder ist er wirklich dein Vater?" Vincent schilderte kurz die Geschichte, wie er als Baby durch Vater gefunden und dann aufgezogen wurde; wie Vater die Gemeinschaft hier mit aufgebaut und ihr geistiger Vater geworden war. "Ich kann kaum glauben, dass es diesen Ort hier wirklich gibt." sagte Chris immer noch staunend. "Aber Vincent, ist es nicht viel zu spät für solch einen Besuch. Oder gibt es hier unten einen anderen Rhythmus?" Vincent erwiderte: "Da musst du dir keine Gedanken machen, Vater ist immer sehr lange wach und studiert seine Bücher oder brütet über Plänen für neue Kammern. Keine Sorge, unser Besuch wird ihn freuen, du wirst sehen." Chris wusste, dass Vincent sie mit diesen Worten beruhigen wollte. Sie spürte sehr deutlich seine Nervosität, die er vor ihr zu verbergen suchte. Als sie schließlich Vaters Kammer erreichten, ging Vincent vor, um sie anzukündigen. Chris folgte ihm langsam und zögernd. Sie betraten den großen Raum und Chris vergaß sofort ihre Nervosität und schaute sich begeistert um: Bücher! Der Bewohner dieses Raumes war ihr schon jetzt sympathisch. Während Vincent im hinteren Bereich des schwach durch etliche Kerzen erleuchteten Raumes verschwand, trat Chris an ein großes Regel heran, das bis oben hin voll gestopft war mit den schönsten antiquarischen Büchern. Sie strich ehrfürchtig mit den Fingern über die ledernen Buchrücken und las verschiedene Titel. Es fanden sich sowohl wissenschaftliche und medizinische Werke darunter als auch eine ganze Reihe von Klassikern wie Shakespeare. Aus dem Hintergrund hörte sie leise den Wortwechsel von Vincent und Vater, ohne jedoch die Worte verstehen zu können. Sie vernahm deutlich Vincents Stimme, der offensichtlich beschwichtigend auf Vater einredete. Die Erwiderung klang eher aufgebracht und ärgerlich. Chris war nicht ganz wohl in ihrer Haut. Sie wollte auf gar keinen Fall, dass Vincent sich ihretwegen Ärger einhandelte. Sie drehte sich herum und wollte schon zu den beiden hinüber gehen, um Vincent beizustehen. Kaum hatte sie jedoch zwei Schritte gemacht, als aus dem Halbdunkel heraus die beiden auf sie zukamen und in den Lichtkreis der Kerzen traten. Chris schnappte laut vernehmlich nach Luft und starrte Vater mit offenem Mund an. Er sah haargenau so aus, wie sie ihn gezeichnet hatte. Vor Verblüffung bekam sie keinen Ton heraus. Auf die Reaktion von Vater war sie allerdings nicht gefasst gewesen. Er schaute sie an, wurde kreidebleich und schwankte, sodass Vincent ihn stützen musste. Er half ihm, sich an den Tisch zu setzen, der in der Mitte des Raumes stand und um den mehrere Holzstühle gruppiert waren. „Vater! Was ist? Geht es dir nicht gut?“ Vincent beugte sich besorgt über den alten Mann. Vater starrte noch immer Chris an und schließlich kam es leise und heiser aus seinem Mund: „Charlotte? Nein, das kann doch nicht sein!“ Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, als ob er ein Trugbild verscheuchen wollte. Chris fand endlich ihre Sprache wieder. Sie ging auf Vater zu und hielt ihm ihre Hand hin. „Guten Tag Vater; mein Name ist Christine. Charlotte war der Vorname meiner Mutter.“  Vater ergriff ihre immer noch ausgestreckte Hand mit beiden Händen und hielt sie fest. „Ja natürlich; das ist die Erklärung. Du bist ihre Tochter, Charlottes Tochter! Du siehst genau so aus wie deine Mutter.“ Und zu ihrer großen Verblüffung stand er auf und zog Chris an sich, um sie herzlich zu umarmen. Vincent schaute erstaunt zu. Vater neigte normalerweise nicht zu solchen Gefühlsausbrüchen. Es musste also schon einen guten Grund dafür geben. Chris war genau so überrascht wie Vincent, erwiderte aber die Umarmung, da sie offensichtlich aufrichtig gemeint war. Als alle sich wieder etwas beruhigt hatten und schließlich um den Tisch saßen, konnte Chris ihre Neugier nicht mehr zurückhalten. Ihr lagen etliche Fragen auf der Zunge, die alle auf einmal heraussprudeln wollten. "Ich verstehe das nicht ganz, Vater. Du hast meine Mutter gekannt? Wie kann das sein? Sie hat mir nie etwas davon erzählt. Und wie kann es sein, dass ich dich und diesen Ort in meinem Traum gesehen habe? Und warum ..." Vater hob abwehrend die Hände. "Langsam, lass' mich erst einmal meinen Teil der Geschichte erzählen, vielleicht klärt sich dann schon Einiges. Moment, da muss auch noch ein Foto sein ..." Er erhob sich und ging hinüber zu seinem Schreibtisch, der mit Büchern, Papieren und Kartenmaterial überladen war. Wie jemand da auch nur irgend etwas finden konnte, war Chris völlig rätselhaft. Aber Vater brachte das Kunststück zustande und schon nach kurzer Zeit rief er triumphierend aus: "Da ist es ja! Ich wusste doch, dass es hier sein musste." Er kehrte mit einem schmalen Buch an den Tisch zurück, wohl offensichtlich ein Gedichtband, wie Chris bei einem Blick auf den Rücken feststellte. Vater blätterte die ersten Seiten um und zog ein altes vergilbtes Foto hervor. Er reichte es ihr hinüber und Chris sah einen viel jüngeren Vater, noch mit dunklem Haar, und neben ihm sich selbst. Nein, verbesserte sie sich in Gedanken, nicht sich selbst, sondern ihre Mutter natürlich! Ihr war bis heute nicht klar gewesen, wie ähnlich sie ihrer Mutter sah. Die beiden waren Arm in Arm auf dem Bild zu sehen und beide lachten und waren offensichtlich glücklich. Chris gab es sehr zu denken, dass Vater dieses Foto über lange Jahre offensichtlich in einem Gedichtband verwahrt hatte. Dass ihre Mutter einmal so jung gewesen war, kam ihr merkwürdig vor, sie wusste selbst nicht warum. Bei der Erinnerung an sie bekam Chris feuchte Augen. „Dieses Foto muss jetzt ...“ Chris löste den Blick von dem Foto und schaute Vater erwartungsvoll an. Dieser suchte in seinem Gedächtnis nach der richtigen Jahreszahl. „Ja, richtig! Das Foto ist jetzt 36 Jahre alt.“ Er schüttelte den Kopf, selbst erstaunt darüber, wie viel Zeit seitdem vergangen war. „Es wurde aufgenommen, kurz bevor deine Mutter die Tunnel wieder verlassen hat. Ich habe das damals sehr bedauert.“ Sein Blick verschleierte sich und er kehrte offensichtlich in die Vergangenheit zurück. „Charlotte hat nicht sehr lange hier gelebt; ich denke, es war ungefähr ein Jahr. Ihr Leben befand sich damals in einer schweren Krise, weil ihre Eltern beide bei einem verheerenden Brand umgekommen waren. Sie selbst hatte überlebt und kam „oben“ nicht mehr zurecht. Einer unserer Helfer hat sie hergebracht. Sie benötigte damals einen Platz zum Ausruhen, zum Heilen. Nach etwa einem Jahr ist sie dann wieder in ihre Welt zurückgekehrt. Sie wollte etwas bewirken, Menschen helfen; wohl auch aufgrund ihrer schrecklichen Erlebnisse. Danach haben wir leider nichts mehr von ihr gehört.“ Vater schien wie aus einem Traum zu erwachen, sein Blick klärte sich und er schaute Chris in die Augen. Seiner Erzählung hatte sie gebannt gelauscht und kaum gewagt zu atmen. Dieser Teil der Vergangenheit ihrer Mutter war ihr bisher völlig unbekannt gewesen. "Was vor meiner Geburt im Leben meiner Mutter passiert ist, davon habe ich bis jetzt nichts gewusst. Sie hat nie darüber gesprochen. Wir haben, als ich ein Kind war, in San Francisco gelebt. Sie hat in einer Hilfsorganisation gearbeitet, die weltweit tätig ist.  Ich bin jetzt 35 Jahre alt; meine Mutter muss also unmittelbar zum Zeitpunkt des Verlassens der Tunnel schwanger geworden sein." Chris stockte kurz und warf Vater einen fragenden Blick zu. "Meinen Vater habe ich nicht gekannt. Mutter hat immer gesagt, er sei an einer Krankheit gestorben. Aber irgendwie habe ich ihr das nie richtig geglaubt." Vater räusperte sich und fragte dann zögernd: "Und ... was macht Charlotte heute?" Er schien die Antwort zu ahnen. "Sie ist gestorben, als ich 10 Jahre alt war.“ Vater stöhnte auf und ließ sich in seinem Stuhl zurücksinken. Die Nachricht hatte ihn offensichtlich sehr getroffen. Chris fuhr fort mit ihrer Schilderung: „Es war ein Verkehrsunfall." Sie schluckte; sie spürte immer noch dumpf den Schmerz, den das kleine Mädchen damals gefühlt hatte. "Ich bin dann bei einer Tante aufgewachsen. Leider ist von meiner Familie nun niemand mehr übrig; nur noch ich." Vincent schaute sie mitfühlend an, streckte den Arm über den Tisch und drückte ihre Hand. Chris lächelte ihm dankbar zu, froh über sein Mitgefühl. "Ich glaube jetzt bin ich wohl an der Reihe, ausführlicher zu erzählen.“ Chris berichtete, wie sie mit 10 Jahren zu ihrer Tante nach New York gekommen war; von ihrer Liebe zu Büchern – an dieser Stelle warfen Vater und Vincent sich einen vielsagenden Blick zu -; von dem Mann, dem Vater ihres Kindes, der sie verlassen hatte, weil er sich noch „nicht reif genug" für ein Kind gefühlt hatte; von ihrer Arbeitsstelle bei George Miller; dem Leben in ihrem Viertel; von den glücklichen Jahren allein mit Peter; von seiner Krankheit und schließlich seinem Tod. Dann schilderte sie ausführlich die Begegnung mit Vincent im Park, ihren Traum und das merkwürdige Gefühl, hier in den Tunneln schon gewesen zu sein. Schließlich öffnete sie ihre Tasche und holte die Zeichnungen heraus, um sie Vater zu zeigen. Er setzte seine Lesebrille auf, um die Bilder zu betrachten. Chris war erneut erstaunt, wie genau sie ihn getroffen hatte. Vater schaute die Zeichnungen an und ließ sich viel Zeit dabei. Er schüttelte ein ums andere Mal den Kopf und murmelte „Unglaublich! Einfach unglaublich“. Schließlich legte er die Zeichnungen auf den Tisch und schaute Chris über seine Brille hinweg nachdenklich an. "Es besteht ganz offensichtlich eine Verbindung zwischen dir und unserer Welt hier unten. Wenn ich daran denke, wie genau dein Traum gewesen ist und mir diese Bilder ansehe, dann ist das ganz klar. War das eigentlich das erste Mal, dass du so etwas geträumt hast oder ist dir das früher schon einmal passiert?" Chris überlegte und wollte schon den Kopf schütteln. Da fielen ihr die Träume aus ihrer Kindheit wieder ein und wie sie ihrer Tante davon erzählt hatte. Wenn sie genau darüber nachdachte, dann hatten sie erst nach dem Tod ihrer Mutter begonnen. Sie hatte von Orten und Dingen geträumt, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Irgendwann später waren dann die Inhalte ihrer Träume auf irgend eine Weise real geworden. Ihre Tante hatte ihr dann verboten, irgend einem Menschen etwas davon zu erzählen und behauptet, sie würde sich dies alles nur einbilden. Später waren die Träume dann seltener geworden und hatten schließlich ganz aufgehört, bis heute. Als sie dies Vater und Vincent schilderte, hörten beide sehr aufmerksam zu und schienen darüber in keiner Weise erstaunt. Offensichtlich nahmen sie die Dinge ernst, die sie schilderte und glaubten ihr. Chris war darüber sehr froh und erleichtert. Dies gab ihr den Mut, noch weiter zu berichten: "Da ist auch noch etwas, eine besondere Gabe, wenn man es so nennen will. Ich kann intensive Gefühle von Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung wahrnehmen. Wenn jemand in meiner Nähe z. B. sehr verzweifelt und unglücklich ist, dann fühle ich das beinahe körperlich mit." Dabei warf sie Vincent einen vorsichtigen Blick zu. "Zu Beginn war das eine sehr große Belastung für mich. Mittlerweile habe ich gelernt, mich davor abzuschirmen, um mich selbst zu schützen. Aber manchmal, wenn es mir selbst nicht so gut geht, gelingt es nicht immer." Vater lehnte sich in seinem Stuhl zurück und nickte nachdenklich. "Offensichtlich hast du sehr sensible Sinne und nimmst wesentlich mehr wahr, als das andere Menschen tun. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das oft eine schwere Bürde ist." Dabei schaute er Vincent an und legte die Hand auf seinen Arm. „Es wundert mich überhaupt nicht, dass ihr beide euch auf diese Art und Weise begegnet seid. Und ich freue mich sehr, dass du den Weg zu uns gefunden hast, meine liebe Chris. Du bist jederzeit herzlich hier bei uns willkommen.“ Ein  Lächeln zog über sein Gesicht. „Vielen Dank Vater, ich bin auch sehr froh darüber.“ Chris war erleichtert und verspürte ein warmes Gefühl der Verbundenheit; so wie bei einem alten Bekannten, den man lange Jahre nicht gesehen, jedoch nicht vergessen hat. Sie erhob sich von ihrem Stuhl. „Ich denke, es wird langsam Zeit, dass ich gehe. Ich habe dich schon viel zu lange vom Schlaf abgehalten.“ Vater stand ebenfalls auf und winkte ab. „Nein, nein, das hast du nicht. Ich bin ein alter Mann, da braucht man nicht mehr so viel Schlaf.“ Er grinste schelmisch und sah mit einem Mal gar nicht mehr alt aus, sondern wie ein übermütiger Junge. Vater kam ganz nah zu ihr heran „Besuche uns bald mal wieder. Dann erzähle ich dir mehr über deine Mutter.“ „Oh ja, das mache ich gern!“ Er zog Chris in seine Arme und hielt sie lange fest. Sie verspürte plötzlich eine heftige Zuneigung zu dem alten Mann und ein Glücksgefühl durchströmte sie. Er ließ sie schließlich los, strich zärtlich mit seiner Hand über ihr Gesicht und küsste sie leicht auf die Wange. „Sei vorsichtig, wenn du nach Hause gehst und pass’ auf dich auf!“ ermahnte er sie noch zum Abschied. Vincent führte Chris schließlich hinaus und geleitete sie zurück durch das Labyrinth der Tunnel. Vater blieb zurück, sank erschöpft auf seinen Stuhl zurück und schloss die Augen. So saß er noch lange da und seine Gedanken wanderten in die Vergangenheit.

Chris folgte Vincent zurück, nahm aber zunächst nur wenig von ihrer Umgebung wahr. Sie musste das Gehörte erst einmal verarbeiten. Schließlich erwachte sie aber doch aus ihren Gedanken, weil sie feststellte, dass Vincent einen völlig anderen Weg eingeschlagen hatte, als sie auf dem Hinweg genommen hatten. „Täusche ich mich, oder ist das jetzt ein anderer Weg als vorhin?“ fragte sie Vincent erstaunt. „Das ist richtig;“ antwortete Vincent lächelnd „das hätten nicht viele Menschen bemerkt, die sich hier nicht auskennen. Es gibt einen Tunnel, der einen Ausgang zu der schmalen Gasse hat, die neben deinem Haus verläuft. Dorthin gehen wir jetzt, damit du nicht alleine durch den dunklen Park laufen musst. Das ist viel zu gefährlich.“ „Ach, wir kommen tatsächlich direkt in meiner Straße aus?“ Chris war sehr erstaunt über diese Tatsache und dachte daran, dass die Tunnel die ganze Zeit praktisch unter ihr gewesen waren, ohne dass sie es wusste. Vincent lächelte über ihren erstaunten Gesichtsausdruck. „Die Tunnel sind sehr weit verzweigt und selbst wir entdecken noch immer neue Bereiche, die wir bisher nicht kannten.“ Er blieb stehen und drehte sich zu ihr herum. „So, wir sind da.“ „Schon?“ fragte Chris ein wenig enttäuscht. Der Gedanke, sich so schnell wieder von Vincent trennen zu müssen, machte sie traurig. Sie blickte in den dämmrigen Durchgang, vor dem sie angehalten hatten und schaute dann wieder Vincent an. „Ich kann noch gar nicht glauben, was ich heute alles erlebt habe. Das muss ich erst einmal verdauen. Aber Vincent, wir haben nur über mich gesprochen und du konntest mir gar nicht erzählen, was dich so traurig macht. Du weißt, leugnen ist zwecklos, ich kann es fühlen.“ Vincent senkte den Kopf und schloss die Augen. Ein gequälter Ausdruck trat auf sein Gesicht. „Ich habe Angst davor, alles wieder hervorzuholen, was ich versucht habe zu vergessen. Nein, nicht vergessen. Das kann ich nicht, so lange ich lebe. Ich habe versucht, den Schmerz und die Trauer zu unterdrücken, herunterzuschlucken. Aber das geht nicht. Die Gefühle kommen irgendwann mit Macht wieder zurück und dann ist es nur um so schlimmer.“ Chris spürte seine Verzweiflung fast körperlich und sie empfand großes Mitleid mit Vincent. Sie trat nah an ihn heran und legte eine Hand auf seine Brust. Mit der anderen hob sie sein Kinn, sodass er sie anschauen musste. „Ich werde versuchen dir zu helfen so gut ich kann. Du bist nicht alleine mit deinem Schmerz; ich weiß genau, wie du dich fühlst. Wann sehen wir uns wieder?“ „Ich werde heute Abend um 22:00 Uhr wieder hier sein und auf dich warten, wenn es dir Recht ist.“ Er schaute sie fragend und hoffnungsvoll an. „Ich werde da sein Vincent. Gute Nacht!“ Sie drehte sich herum und verschwand langsam durch den Mauerdurchbruch in der Dunkelheit. Vincent stand noch lange dort und dachte an die vielen anderen Gelegenheiten, wo er so dagestanden und einer Frau nachgeschaut hatte. Schließlich gab er sich einen Ruck und machte sich auf den Weg zurück.





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Susi
Tunnelexperte


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New PostErstellt: 13.07.08, 16:39  Betreff: Re: Neue Hoffnung  drucken  weiterempfehlen

.*träum*OOOOOHH, wie schöööön !!!! Du bist genial. Ich hab mir heut Zeit genommen und in Ruhe gelesen.Einfach nur klasse. Mach aber kein Cliffhanger draus, das wäre Folter. 



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Uschi-Nessaja
Tunnelexperte


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New PostErstellt: 13.07.08, 17:59  Betreff: Re: Neue Hoffnung  drucken  weiterempfehlen

Ui, danke für das Lob.  

Ich werde mich bemühen, dass es bald weitergeht. Hab schon einige Ideen im Kopf.

Falls ihr irgendwelche Fehler und Ungereimtheiten findet, bitte unbedingt auch hier reinschreiben. Das hilft mir ungemein. Soll ja schließlich ein Bestseller werden.





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Gaya

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New PostErstellt: 13.07.08, 18:08  Betreff: Re: Neue Hoffnung  drucken  weiterempfehlen

    Zitat: Uschi-Nessaja

    Vincent führte Chris durch eine enge Röhre. Es war dunkel und staubig. Chris kam es vor, als sei sie erneut in ihren Traum von letzter Nacht versetzt worden. Sie musste sich selbst kneifen um zu glauben, dass sie dies wirklich gerade erlebte. Sie wanderten durch etliche Gänge, vorbei an Kammern und Orten, die Chris auf eine sehr merkwürdige irritierende Art und Weise vertraut vorkamen. ...

    Chris stand staunend neben Vincent, seine Hand fest umklammert. ...

*seufz* *auch will*

    Zitat:
    Einen langen Moment standen sie nur so da und schauten sich an. Chris verspürte ein Kribbeln und eine Gänsehaut lief über ihren ganzen Körper.

Ich spürs auch *lol*

    Zitat:
    Oder gibt es hier unten einen anderen Rhythmus?

sag mal, gehst jetzt alle Threads im board durch? denkst auch an alles

    Zitat:
    Bücher! Der Bewohner dieses Raumes war ihr schon jetzt sympathisch.

Wär er mir auch.

    Zitat:
    Auf die Reaktion von Vater war sie allerdings nicht gefasst gewesen. Er schaute sie an, wurde kreidebleich und schwankte, sodass Vincent ihn stützen musste. Er half ihm, sich an den Tisch zu setzen, der in der Mitte des Raumes stand und um den mehrere Holzstühle gruppiert waren. „Vater! Was ist? Geht es dir nicht gut?“ Vincent beugte sich besorgt über den alten Mann. Vater starrte noch immer Chris an und schließlich kam es leise und heiser aus seinem Mund: „Charlotte? Nein, das kann doch nicht sein!“ ...

Klasse! Als wir drüber gesprochen hatten, dachte ich noch: was mag das werden? Aber hast du prima umgesetzt.

    Zitat:
    und neben ihm sich selbst. Nein, verbesserte sie sich in Gedanken, nicht sich selbst, sondern ihre Mutter natürlich! Ihr war bis heute nicht klar gewesen, wie ähnlich sie ihrer Mutter sah.

*seufz* das kenn ich.  Gibt von meiner Mutter (und Oma) auch son Bild. Wir könnten Drillinge sein. find die Stelle schön beschrieben. Boah, das muß man sdich mal bildlich vorstellen, kommst an einen fremden Ort, der gar nicht fremd ist... (Fehlt nur noch der Spruch: Wie klein die Welt doch ist! *gg*)

    Zitat:
    Chris stockte kurz und warf Vater einen fragenden Blick zu. "Meinen Vater habe ich nicht gekannt. Mutter hat immer gesagt, er sei an einer Krankheit gestorben. Aber irgendwie habe ich ihr das nie richtig geglaubt." Vater räusperte sich und fragte dann zögernd: "Und ... was macht Charlotte heute?"

sag mal, hab ich jetzt zuviel Phantasie, oder interpretier ich das richtig? *löl*

einfach nur schön... auch oder erst recht das Ende des Teils...

Cliffhanger? klaro, richtig schön spannend... solang du uns nicht zu lang warten lässt. (@Susi) 




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Uschi-Nessaja
Tunnelexperte


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New PostErstellt: 13.07.08, 22:02  Betreff: Re: Neue Hoffnung  drucken  weiterempfehlen

Hallo Frau Literaturkritikerin,

vielen Dank für die super tolle umfangreiche Kritik.

Und bezüglich der Story mit Vater(!?), da verweigere ich die Aussage  





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rosal
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New PostErstellt: 09.08.08, 21:57  Betreff:  Re: Neue Hoffnung  drucken  weiterempfehlen

1A Super geschrieben mach weider so



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Gaya

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New PostErstellt: 09.08.08, 22:43  Betreff: Re: Neue Hoffnung  drucken  weiterempfehlen

wo bleibt eigentlich die Fortsetzung? *ungeduldig wart*

(ok, ich bin ja selbst nicht besser, was das angeht, aber ich hab das schreiben vorerst auf Eis gelegt und hoff, dass das bei dir nicht so ist.)




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Uschi-Nessaja
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New PostErstellt: 09.08.08, 22:54  Betreff: Re: Neue Hoffnung  drucken  weiterempfehlen

Hi Mädels,

ich bastele gerade am nächsten Kapitel. Noch ein paar Tage Geduld, dann gehts weiter. Ich hab jetzt Urlaub und genug Zeit zum Basteln

Liebe Grüße

Uschi





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Uschi-Nessaja
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New PostErstellt: 10.08.08, 16:21  Betreff: Re: Neue Hoffnung  drucken  weiterempfehlen

Hi Mädels,

die Fortsetzung ist doch schneller fertig geworden, als ich dachte. Heute hat es so richtig schön "gefluscht".

Bitte nicht zurückhalten und gerne Kritik äußern. Das finde ich sehr hilfreich.

Viel Spaß beim Lesen!

Uschi

+++++++++++++++++++++

Kapitel 9

Chris hatte die Taschenlampe herausgenommen und beleuchtete damit ihren Weg. Sie war sehr froh, diese mitgenommen zu haben. Sie fühlte sich ein Wenig unsicher, so allein in der Dunkelheit. Sie stieg eine Treppe hinauf und fand sich vor einer alten sehr niedrigen Eisentür wieder. Sie zog am Türgriff, jedoch bewegte sich die Tür um keinen Zentimeter. Sie war sicher schon lange nicht mehr geöffnet worden. Das fand Chris erst einmal sehr beruhigend, da so die Tunnelbewohner nicht Gefahr liefen, von Außenstehenden entdeckt zu werden. Chris legte die Taschenlampe auf den Boden, um beide Hände frei zu haben. Sie setzte ihr ganzes Körpergewicht ein und zog so kräftig sie konnte. Die Tür gab nur ganz allmählich ihren Widerstand auf und öffnete sich schließlich ächzend so weit, dass Chris sich hindurchschieben konnte. Sie spähte vorsichtig in die dunkle Gasse, es war jedoch keine Menschenseele zu sehen. Chris kletterte mühsam aus der Unterwelt wieder nach draußen und zog die Tür hinter sich zu. Wenn man nicht genau wusste, wo sich die Tür befand, fiel sie beim flüchtigen Hinsehen gar nicht auf. Chris nahm sich vor, am Abend ein Fläschchen Öl mitzunehmen, um die Scharniere geschmeidig zu machen, damit sie keinen Lärm verursachten. Sie schaltete ihre Lampe aus und blickte sich in der Gasse um. Diese war nur etwas mehr als einen Meter breit und wurde offensichtlich nie benutzt. Es hatte sich Müll und Schmutz angesammelt und das einzige Lebewesen, das sie entdecken konnte, war eine Ratte, die bei Chris’ Anblick die Flucht ergriff. Chris schaute nach oben und ging unter der Feuerleiter hindurch, die zu ihrer Dachterrasse führte. Sie trat hinaus auf die Straße und fand sich fast unmittelbar vor ihrer Haustür wieder. Sie schloss die Tür auf und kehrte zurück in ihre Wohnung. Als sie ihren Flur betrat, saß Moses dort wie ein Wachtposten und schaute sie anklagend an; er maunzte vorwurfsvoll, so als wollte er fragen: Wo kommst du jetzt her? „Ja, ich weiß, es ist spät.“ entschuldigte sich Chris bei ihm. „Aber daran wirst du dich leider gewöhnen müssen. Das kommt jetzt sicher noch öfter vor.“ Hoffentlich! Setzte Chris in Gedanken hinzu. Sie ging ins Schlafzimmer, zog ihre Kleider aus und nahm ihren Schlafanzug mit ins Bad. Zum Glück war heute Samstag und sie konnte ausschlafen. Endlich fiel Chris erschöpft ins Bett. Moses hatte schon seinen Stammplatz eingenommen und wartete auf sie. „Du glaubst nicht, was ich heute erlebt habe.“ flüsterte Chris ihm ins Ohr und kraulte ihn zärtlich. Sie war durch die aufregenden Ereignisse einerseits müde und erledigt, andererseits aber zu aufgedreht, um sofort schlafen zu können. Sie verschränkte die Arme unter dem Kopf und lag mit offenen Augen in der Dunkelheit. Die Erlebnisse der letzten Stunden zogen noch einmal an ihr vorbei. Ihre Mutter hatte in den Tunneln gelebt! Sie konnte es noch immer nicht fassen. Sie hatte bei der Erzählung von Vater den Eindruck gehabt, dass die Beziehung zwischen ihm und ihrer Mutter tiefer gewesen war, als er zuzugeben bereit war. Chris wagte gar nicht daran zu denken, ob es möglich war ...; nun es hatte keinen Zweck, darüber zu spekulieren. Sie würde wohl ihren Mut zusammen nehmen und Vater selbst fragen müssen. Dann wanderten ihre Gedanken zu Vincent. Sie dachte an das intensive Gefühl, das sie durchströmt hatte, als sie beide Hand in Hand auf der Treppe zur Kammer der Winde gestanden hatten. Als sie nach langer Zeit schließlich doch eingeschlafen war, träumte sie von ihrer Mutter, mit der sie durch die Tunnel wanderte.

 

Chris erwachte davon, dass Moses intensiv damit beschäftigt war, ihr Ohr abzulecken. Sie schob ihn mit der Hand ein Stück von sich weg und protestierte schlaftrunken: "Moses, du Quälgeist! Es ist Samstag und wir müssen nicht zur Arbeit. Warum weckst du mich denn so früh auf?" Moses kam wieder näher und maunzte laut in ihr Ohr. Chris öffnete endlich die Augen und drehte den Kopf, um auf die Uhr zu schauen. Wie sie feststellte, war es "so früh" gar nicht mehr. Die Uhr zeigte viertel nach zehn. Chris schaute zweimal hin, um zu glauben, was sie da sah. Seit Peters Tod hatte sie nicht mehr so lange und tief geschlafen. Sie stieg stöhnend aus dem Bett und reckte und streckte sich erst einmal ausgiebig. Ihr Abenteuer von letzter Nacht steckte ihr noch in den Knochen. Moses tat es ihr nach, sah dabei aber wesentlich eleganter aus als Chris. "Angeber!" sagte sie im Vorbeigehen zu ihm und marschierte ins Bad. Als Chris fertig war, zog sie ihren Jogginganzug an und ging in die Küche, dicht gefolgt von Moses. Sie schaute aus dem Fenster und stellte fest, dass es ein wunderschöner sonniger Tag zu werden schien. "Moses, heute frühstücken wir auf der Terrasse!" verkündete sie dem Kater und begann, alle notwendigen Dinge auf ein Tablett zu räumen. "Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht. Los, geh' schon mal vor und deck' den Tisch, du Faulpelz. Ich hole die Zeitung rauf.“ Moses tat ganz empört über dieses Ansinnen und marschierte mit hoch aufgerichtetem Schwanz aus der Küche. "Typisch! Alles muss man alleine machen." Chris holte die Tageszeitung herauf, legte sie auf das Tablett und stieg hoch zu ihrer Terrasse, um in aller Ruhe und ausführlich zu frühstücken. Es war angenehm warm und windstill, ideal um draußen zu essen. Chris spannte ihren Sonnenschirm auf und kramte alles Notwendige auf den Tisch. Moses' Napf hatte sie mitgenommen und stellte ihn neben den Tisch auf den Boden. Der Kater fiel wie immer darüber her, während es sich Chris gemütlich machte. Sie hatte kaum richtig Platz genommen und eine Scheibe Toast mit Butter bestrichen, da hopste Moses schon auf den Nachbarstuhl und linste begehrlich nach der Wurst. Seinen Napf hatte er bis auf den letzten Krümel leer gefressen, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Chris schüttelte lächelnd den Kopf „Du Vielfraß! Ich weiß gar nicht, wo du das alles hintust. Wenn ich so viel essen würde wie du, sähe ich aus wie eine Tonne.“ Trotzdem tat sie etwas Leberwurst auf einen kleinen Teller und stellte ihn auf den Stuhl neben Moses. Moses liebte Leberwurst über alles. Chris widmete sich ihrem eigenen Frühstück und warf einen Blick in die Zeitung. Dabei fiel ihr ein Artikel ins Auge, der über die Eröffnung des Viertelladens berichtete. Chris fielen die Flyer wieder ein, die sie über die aufregenden Ereignisse in den Tunneln völlig vergessen hatte. Ein leiser Anflug eines schlechten Gewissens befiel sie. Sie hatte Linda schließlich versprochen, die Flyer an die Nachbarn zu verteilen und zur Eröffnung zu kommen. Sie nahm sich vor, das gleich nach dem Frühstück in Angriff zu nehmen. Chris und Moses genossen ausgiebig und lange ihr Frühstück und das wunderbare Wetter. Danach studierte Chris gründlich die Zeitung, wobei Moses auf ihrem Schoß saß und ihr dabei Gesellschaft leistete. Man hätte meinen können, er lese heimlich mit. Ab und zu gab er in Form eines verächtlichen Maunzens seine Meinung zu dem einen oder anderen Artikel kund, wie es Chris vorkam. Als ihm endlich das „Mitlesen“ zu langweilig wurde, verzog er sich in eine sonnige Ecke der Terrasse und streckte sich unter einer Palme lang aus. Er schloss die Augen und Chris hatte das Gefühl, dass er sicher nicht so schnell wieder von dort wegbewegen würde. Er musste ja auch schließlich neue Kräfte sammeln für seine nächtlichen „Kontrollgänge“. Chris räumte endlich alles wieder zusammen und machte sich  auf den Weg nach unten. Sie zog sich an, nahm ihre Handtasche und holte die Flyer heraus, die sie von Linda erhalten hatte. Chris verließ ihre Wohnung und steckte die Flyer in die Briefkästen ihrer Mitbewohner. Auch beim Nachbarhaus ging sie noch vorbei und verteilte die restlichen Exemplare. Schließlich machte sie sich auf den Weg zum Viertelladen. Dort angekommen stellte sie fest, dass schon einige interessierte Nachbarn sich eingefunden hatten. Die Aktivitäten hatten sich auf dem Platz vor dem Geschäft ausgebreitet. Es gab Infostände, Luftballons und Spiele für die Kinder und alles war hübsch bunt dekoriert mit Girlanden und Fähnchen. An einem Stand wurden Getränke und Kuchen verteilt, an einem anderen Würstchen gegrillt. Chris entdeckte Linda, die zwischen den Ständen geschäftig hin und her lief und winkte ihr lächelnd zu. Linda kam zu ihr herüber und schüttelte ihr strahlend die Hand. „Wie schön, dass sie kommen konnten Chris. Ich freue mich. Bitte schauen Sie sich ruhig um; leider habe ich nicht so viel Zeit, sonst hätte ich Ihnen gerne alles gezeigt. Eine meiner Helferinnen ist ausgefallen, die bei den Getränken eingesetzt werden sollte. Jetzt muss ich da auch noch ran.“ Sie war ein Wenig außer Atem und ihre Wangen waren gerötet. „Aber das kann ich doch machen.“ bot Chris ihre Hilfe an. „Das würden Sie wirklich tun?“ Chris lächelte über ihr erstauntes Gesicht. „Aber ja, das mache ich gern. Ich habe heute sowieso nichts weiter vor, erst heute Abend.“  Linda umarmte sie spontan und herzlich. „Vielen Dank, damit tun Sie mir einen großen Gefallen. Kommen Sie, ich stelle Ihnen unsere Mitstreiter vor." Chris folgte Linda zum Getränkestand gleich neben dem Kuchen. Linda stellte ihr Jenny vor, die dort die Verteilung übernommen hatte. Nach einer kurzen Einweisung stürzte sich Chris sofort mit Eifer in die Arbeit. Sie schenkte Kaffee aus, plauderte mit Nachbarn, verteilte Säfte und Wasser und dabei war ihr überhaupt nicht bewusst, wie schnell die Zeit verging. Ehe sie sich versah, war es 18:00 Uhr und die Aktion beendet. Die Leute gingen allmählich einer nach dem anderen nach Hause und zurück blieben geplünderte Stände und glückliche Mitarbeiter. Der Zuspruch war enorm gewesen und das Interesse riesig. Linda kam zu Chris, um sich für ihre Hilfe zu bedanken, während die anderen Mitarbeiter schon dabei waren, die Stände abzubauen und alles in den Keller unter dem Laden zu räumen. "Vielen Dank Chris für die Hilfe. Ohne Sie hätten wir das heute nicht so reibungslos geschafft. Möchten Sie sich vielleicht noch unseren Laden ansehen? Ich führe Sie gerne herum." Chris stimmte sofort zu und Linda ging voraus, um ihr alles zu zeigen. Der Laden war sehr freundlich und hell eingerichtet. Es gab eine Ecke mit gebrauchtem Kinderspielzeug, Büchern und Kleidung für Kinder. An der gegenüber liegenden Seite war eine Theke aufgebaut, wo Kaffee und kalte Getränke ausgeschenkt werden konnten. Davor gruppierten sich einige Tische und Stühle. Der hintere Teil des Raumes war durch eine Glaswand abgetrennt, in dem sich ein Büro befand, was für Beratungsgespräche gedacht war. Vor der Glaswand stand noch ein großer Infoständer mit diversen Broschüren und Flyern mit reichhaltigen Angeboten. Durch eine weitere Tür ging es in den hinteren Bereich, wo es einen Raum gab mit Lebensmitteln, die preiswert an bedürftige abgegeben werden konnten und einen weiteren Raum für Müttertreffs mit Kindern. „Ich bin ganz begeistert.“ wandte sich Chris schließlich an Linda. „Ihr Angebot ist wirklich großartig und wird bestimmt sehr gut angenommen. Genau so etwas haben wir noch gebraucht hier im Viertel.“ Linda strahlte, offensichtlich sehr glücklich über das Lob. „Vielen Dank Chris, freut mich unheimlich, dass es Ihnen gefällt. Sie haben nicht vielleicht Bedarf? Im Moment ist das Angebot noch nicht so groß, aber wir haben schon Einiges an Kinderspielzeug und –kleidung da.“ Das Lächeln auf Chris’ Gesicht verschwand augenblicklich und ein gequälter Ausdruck trat an dessen Stelle. Sie schüttelte den Kopf und ihre Augen wurden Feucht. Sie musste mehrmals schlucken, bevor sie antworten konnte. „Mein kleiner Sohn Peter ist vor vier Monaten an einem Hirntumor gestorben. Er ist nur 9 Jahre alt geworden.“ Sie wandte sich ab und starrte auf die Spielzeuge, zu denen sie auf ihrem Rundgang nun zurückgekehrt waren. Chris nahm einen Teddybären hoch und überlegte, welches Kind wohl damit gespielt, ihm seine Geheimnisse, Sorgen und Träume erzählt und heimlich nachts in sein Fell geweint hatte. Sie drückte den Teddybären an die Brust und drehte sich wieder zu Linda herum. Deren Gesicht war ganz bleich geworden und sie schaute Chris entsetzt an. „Oh Gott, das tut mir sehr leid. Ich hatte ja keine Ahnung.“ Chris schaute auf den Teddybären hinunter in ihren Armen und plötzlich fasste sie einen Entschluss. Sie setzte den Bären wieder zu seinen Kameraden, einem Kaninchen und einem Pferdchen, ins Regal und sagte entschlossen zu Linda: „Ich habe einen anderen Vorschlag für Sie. Peters Kinderzimmer steht immer noch so da, wie er es verlassen hat. Alle seine Sachen sind noch vorhanden. Bis auf ein paar Erinnerungsstücke möchte ich Ihnen alles schenken. Sicher gibt es hier viele Kinder, die davon profitieren können. Ich muss der Tatsache ins Auge sehen, dass Peter fort ist und nie wieder zurückkommt. Es wird Zeit, einen Schritt vorwärts zu gehen.“  Linda schaute sie überrascht und etwas zweifelnd an. „Möchten Sie das wirklich? Ich freue mich natürlich sehr über die Spende, aber Sie müssen nichts übereilen. Wenn Sie noch überlegen wollen ...“ „Nein,“ fiel ihr Chris ins Wort „mein Entschluss steht. Ich gebe Ihnen die Sachen gern. Ich werde in den nächsten Tagen aussortieren, was ich gerne behalten möchte und sage Ihnen dann Bescheid. Haben Sie vielleicht einen Wagen, mit dem Sie die Sachen transportieren können?" "Ja, wir haben einen gebrauchten Lieferwagen, da passen sicher alle Sachen hinein. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar. Wir können das sehr gut gebrauchen." Sie umarmte Chris herzlich und diese verabschiedete sich mit einem freundlichen "Dann bis nächste Woche!"

Als Chris wieder zu Hause in ihrer Wohnung war, zog sie etwas Bequemes an und stürzte sich in Aufräum- und Putzarbeiten. Sie wollte einerseits ihre Traurigkeit bekämpfen, die sie überfallen hatte, als sie über Peter gesprochen hatte, andererseits wollte sie die Nervosität vertreiben, die sie über das kommende Treffen mit Vincent verspürte. Aber je weiter die Zeit Richtung 22:00 Uhr vorrückte, desto kribbeliger wurde sie. Als sie fertig geduscht und angezogen war, verabschiedete sie sich von Moses, der zu seiner üblichen abendlichen Runde aufbrach. Sie hob ihn auf ihre Arme, drückte ihr Gesicht in sein Fell und flüsterte ihm ins Ohr: "Pass' auf dich auf und drück' mir die Daumen!" Sie setzte ihn ab und er marschierte durch die Katzenklappe in der Tapetentür hinauf auf's Dach. Chris verließ ebenfalls die Wohnung und schlüpfte, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass sie niemand beobachtete, in die dunkle enge Gasse. Mit Mühe öffnete sie die Tür in die Unterwelt und ölte sie mit dem mitgebrachten Fläschchen. Chris testete den Erfolg ihrer Bemühungen und stellte fest, dass sich die Tür nun viel leichter öffnen und schließen ließ, aber vor allen Dingen lautlos. Zufrieden mit dem Ergebnis schloss sie sorgfältig die Tür. Beim Schwenken der Taschenlampe fiel der Schein auf einen metallisch schimmernden Gegenstand an der Wand neben der Tür. Chris ließ den Lichtstrahl zurückwandern und schaute genauer hin: Ein Schlüssel! Chris nahm ihn zögernd herunter und wog ihn zweifelnd in der Hand. Sollte er tatsächlich zu der Tür passen? Das wäre zu schön um wahr zu sein. Chris steckte den Schlüssel gespannt in das Schlüsselloch der Tür und drehte zweifelnd. Tatsächlich! Der Schlüssel drehte sich, zwar widerstrebend, aber er drehte sich. Chris jubilierte innerlich. Jetzt bestand keine Gefahr mehr, dass die Bewohner der Unterwelt entdeckt würden. Sie hatte große Bedenken gehabt, ob sie diesen Eingang benutzen könnte, ob es nicht zu gefährlich sei. Jetzt musste sie sich keine Sorgen mehr darüber machen. Erleichtert steckte sie den Schlüssel in die Tasche und stieg die Treppe hinunter.

Ihr Herz hatte angefangen, heftig zu klopfen. Sie betrat den Tunnel in Vincents Reich und stellte fest, dass sie noch alleine war. Gerade überlegte sie, ob sie den Weg auch selbst finden würde, da vernahm sie ein leises Geräusch und Vincent erschien mit einer Laterne in der Hand am Ende des Ganges. Erleichtert ging Chris auf ihn zu und begrüßte ihn, froh über sein Erscheinen. "Vincent, ich freue mich sehr, dass du gekommen bist. Manchmal denke ich fast, ich hab dies alles nur geträumt." Vincent schaute sie lächelnd an und meinte geheimnisvoll: "Es gibt noch viel mehr Wundersames zu sehen in meiner Welt, das du noch nicht kennst. Komm, ich werde es dir zeigen." "Das klingt ja sehr spannend und geheimnisvoll." erwiderte Chris und folgte Vincent erneut ins Ungewisse.

Eine Weile wanderten sie schweigend dahin. Chris hatte das Gefühl der Traurigkeit immer noch nicht ganz überwinden können und dachte an Peter und daran, was er wohl zu diesem "Abenteuer" gesagt hätte, was sie gerade erlebte. Sie wurde durch Vincents sanfte Stimme aus ihren Grübeleien gerissen. "Du bist so still und kommst mir traurig vor heute Abend." Er schaute sie fragend von der Seite an. Chris seufzte und schilderte Vincent ihre Begegnung mit Linda und wie sie ihr von Peter erzählt hatte. Vincent nickte verständnisvoll. "Ich kann sehr gut verstehen, was du empfindest. Das Gespräch hat die traurigen Gefühle wieder hervorgeholt." Chris ergriff Vincents Hand und drückte sie,  dankbar für sein Verständnis und Mitgefühl. Er hielt sie fest und so setzten sie ihren Weg fort. Schließlich vernahm Chris ein merkwürdiges Geräusch, das sie zuerst nicht identifizieren konnte. Anfangs nur ganz leise, wurde es allmählich lauter. Sie traute ihren Ohren kaum, denn dies klang wie rauschendes Wasser. Aber das war doch unmöglich! Hier unten? Schon wollte sie Vincent danach fragen, als dieser stehen blieb und sich zu ihr umwandte. "Was ich dir jetzt zeige, ist ein kleines Wunder. Ein Ort, an den ich mich gerne zurückziehe, um alleine zu sein, um nachzudenken." Gespannt folgte Chris Vincent um eine Tunnelbiegung und blieb mit aufgerissenen Augen staunend stehen. Ein Wasserfall unter der Erde! Sie konnte kaum glauben, was sie sah. Vor ihr öffnete sich eine große Höhle mit einem See, in den sich ein Wasserfall mit beständigem Rauschen ergoss. Das Wasser schäumte und feuchte Schleier zogen über den See. Ein sanftes Licht, wer weiß woher, malte bunte Flecken auf die Höhlenwände. Chris kam sich vor, als ob sie in ein Märchen versetzt worden sei; alles war so unwirklich. Es hätte sie nicht gewundert, im nächsten Moment eine Elfe über das Wasser fliegen zu sehen. Sie drehte sich um und stellte fest, dass Vincent seinen Umhang ausgezogen und über einen flachen Stein gelegt hatte. Er beobachtete lächelnd ihr staunendes Gesicht. "Oh Vincent, das ist wunderschön! So etwas märchenhaftes habe ich noch nie gesehen." Sie ging zu ihm hinüber und beide ließen sich auf Vincents Umhang nebeneinander nieder. So saßen sie eine ganze Weile schweigend da und genossen den wunderschönen Anblick. Vincent beobachtete Chris von der Seite, ihr staunendes Gesicht und fasste einen Entschluss. Als er zu sprechen begann, war seine Stimme leise und zögernd. "Ich habe auch oft mit ihr hier gesessen. Sie hat diesen Platz geliebt." Chris hatte sich ihm zugewandt und schaute ihm in die Augen. Vincent stockte und musste schlucken. "Du sprichst von der Frau, die du geliebt hast." Vincent schloss die Augen und auf sein Gesicht trat ein gequälter Ausdruck. "Ja, ich habe sie geliebt. Ihr Name war Catherine." Vincent begann zu erzählen, zuerst zögernd und stockend, aber dann immer flüssiger. Er berichtete Chris von seiner ersten Begegnung mit Catherine, wie er sie im Park gefunden hatte. Von ihrem Aufenthalt in den Tunneln, von ihrer Verbindung, ihrem Band. Er erzählte von den unzähligen Abenden auf ihrem Balkon, ihrer beider Liebe zu Büchern und Musik, von den vielen Gelegenheiten, wo er ihr Retter gewesen war. An dieser Stelle stockte Vincent; er konnte nicht weiter sprechen. Chris umfasste seine Hand mit ihren beiden Händen und drückte sie ermutigend. "Da ist doch noch mehr Vincent. Bitte, höre jetzt nicht auf; erzähle mir alles." Zögernd und leise berichtete Vincent von seiner Krankheit, vom Verlust ihrer Verbindung, dass er nicht mehr hatte spüren können, wenn sie in Gefahr war. An dieser Stelle konnte Vincent nicht mehr ruhig sitzen bleiben. Er stand auf und ging nervös hin und her. Nach kurzer Pause berichtete er von Catherines Schwangerschaft, von ihrem gemeinsamen Kind, ihrer Entführung und seiner Suche nach ihr. Chris hatte entsetzt eine Hand auf ihr Herz gepresst und folgte gespannt seiner Schilderung. Vincent ballte verzweifelt die Hände zu Fäusten und kam schließlich dazu, wie er Catherine gefunden hatte und wie sie in seinen Armen gestorben war. Chris stöhnte entsetzt und mitfühlend, Tränen rannen über ihr Gesicht. Vincent stand mit geballten Fäusten da, die Augen geschlossen, das Gesicht eine einzige gequälte Maske. Leise und tonlos sprach er schließlich von der Suche nach seinem Kind und wie er es dann endlich gefunden und nach Hause gebracht hatte. Als er geendet hatte, stand er nur da, sein Körper angespannt. Chris konnte selbst deutlich körperlich seine Verzweiflung und seinen Schmerz spüren, der ihn zu überwältigen drohte. Aber etwas in ihm sträubte sich immer noch dagegen, die Gefühle heraus zu lassen. Er versuchte immer noch, die Trauer und Verzweiflung zu unterdrücken. Chris stand langsam und zögernd auf und trat nahe an Vincent heran. Sie umfasste seine zu Fäusten geballten Hände, die er an die Brust gepresst hielt. "Vincent," flüsterte Chris "ich kann deinen Schmerz fühlen. Es ist so, als ob man mir ein Messer in den Leib stechen würde. Du kannst diese Gefühle nicht auf Dauer unterdrücken. Du wirst daran ersticken." Sie hob die rechte Hand und streichelte Vincents Gesicht. Vincent wankte leicht, Chris konnte spüren, wie ein Zittern durch seinen gesamten Körper lief. Er schloss die Augen, Tränen begannen, über sein Gesicht zu rinnen. Er öffnete keuchend den Mund und ein gequälter Schrei kam über seine Lippen. Er riss sich von Chris los und rannte wie ein eingesperrtes Tier auf und ab. Blind stieß er gegen die Tunnelwand und hieb laut brüllend mit den Fäusten dagegen. Entsetzt und ängstlich ob dieses Ausbruchs schaute Chris zu. Schließlich siegte aber ihr Mitgefühl und sie lief zu Vincent hinüber. Sie schlang von hinten ihre Arme um seine Taille. "Vincent, ich bin da. Ich halte dich." rief Chris verzweifelt. Ihr Ruf und ihre körperliche Nähe drangen offensichtlich in Vincents Bewusstsein. Sein Körper erschlaffte und er brach erschöpft auf dem Höhlenboden zusammen. Chris lief hinüber zu dem Stein, auf dem sie vorhin noch gesessen hatten und holte Vincents Umhang. Dann kehrte sie zu ihm zurück und sank neben ihm zu Boden. Sie zog Vincent in ihre Arme und bettete seinen Kopf an ihrer Brust. Dabei breitete sie den Umhang wie eine Decke über ihn. Sie streichelte zärtlich sein Gesicht und ihre Finger fuhren sanft durch sein langes Haar. Endlich hatten die so lange aufgestauten Gefühle gesiegt und brachen nun mit Macht aus Vincent heraus. Er schlang seine Arme um Chris und klammerte sich an sie wie ein Ertrinkender. Er schluchzte und sein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt. Chris hielt ihn fest und Tränen des Mitgefühls und des Schmerzes rannen leise über ihr Gesicht. Sie hatte die schützende Barriere, die sie sonst errichtet hatte, völlig aufgegeben und fühlte seinen Schmerz mit ihm. In diesem intimen Moment kam es ihr fast so vor, als seien sie eins. Sie küsste sanft seine Stirn und sein Haar und wiegte ihn in ihren Armen. Nach langer Zeit verebbte sein Schluchzen und sein Körper lag entspannt in ihren Armen. Chris saß gestützt an die Tunnelwand da und bot ihm Wärme und Nähe. Sie streichelte ihn und flüsterte tröstende Worte. An Vincents regelmäßigen Atemzügen spürte sie nach einer Weile, dass er erschöpft eingeschlafen war. Sie schaute auf sein nun entspanntes Gesicht hinunter und eine Flut von Gefühlen stürmte auf sie ein. Sie empfand ein tiefes Mitgefühl, Zuneigung, eine große Vertrautheit, so als ob sie Vincent schon Jahre kennen würde und nicht erst ein paar Tage und auch Trauer. Trauer darüber, weil sie für eine Beziehung zu Vincent keine Chance sah. Denn es hatte keinen Sinn, sich noch weiter etwas vorzumachen. Spätestens in dem Moment, wo sie Hand in Hand auf der Treppe zur Kammer der Winde gestanden hatten war ihr klar geworden, dass sie ihn liebte.


Wenn Liebende fallen, die Liebe fällt nicht.
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.


[editiert: 10.08.08, 16:22 von Uschi-Nessaja]
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