Hab heute beim Ausmisten ein Buch wiedergefunden, von dem ich gar nimmer wusste, dass ich es habe: "Kleines Konversationslexikon für Haushunde" von Juli Zeh. Unter "O" wie
Osmose
Biochemisches Kunststück, das erfahrene Haushunde ausschließlich bei Nacht vor
schlafendem Publikum aufführen. Nachdem homo sapiens sich ins Bett gelegt hat,
nimmt der Hund vorschriftsgemäß auf seinem Polster hinter der Tür Platz. Es
vergehen einige Momente der Sammlung. Der Mensch schlummert ein, der Hund erhöht seine
Konzentration, bis die Osmose in Gang gesetzt werden kann. Ohne jede
wahrnehmbare Bewegung diffundiert er gewissermaßen auf Molekülbasis mit
Schnauze und Vorderpfoten auf die Bettkante, wobei ihm das strikte Bettverbot
als semipermeables Medium dient. Nach kurzer Verschnaufpause folgen Bauch und
Hinterbeine, bis der Hund schließlich ganz auf der Matratze liegt. In diesem
Moment ist der osmotische Druck immerhin so weit ausgeglichen, dass er den
Haushund nicht zum Platzen bringt. Im Lauf der Nacht kommt es vor, dass weitere
Diffusionsbewegungen ihn bis aufs Kopfkissen transportieren, wo er dann endlich
den beseligenden Zustand eines isotonischen Gleichgewichts erlebt. Ob homo
sapiens das in der gegebenen Situation genauso beurteilen würde, mag
dahingestellt bleiben. In den Dschungeln der Biochemie ist jede gelöste
Substanz für sich selbst verantwortlich.