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sheena
Tunnelexperte


Beiträge: 925


New PostErstellt: 10.01.10, 13:29     Betreff: Re: eine neue familie

Siemens MQ955PE Handrührer / Power E...

12. Kapitel - 

Mary drückte Stella in die Kissen und redete sanft auf sie ein: „War wohl alles ein bisschen viel für dich! Ruh dich aus und versuch, ein wenig zu schlafen.“ Vater nickte beipflichtend und nahm noch einmal ihr Handgelenk, um den Puls zu fühlen, der mit einem Male zu rasen begann. Erschrocken schaute er seiner Patientin ins Gesicht und bemerkte ihre angstgeweiteten Augen, die zum Eingang starrten. Er folgte ihrem Blick und seufzte, als er seinen Sohn dort stehen sah. Wie es dessen Art war, hatte er beinahe lautlos den Raum betreten und stand nun dort, bewegungslos abwartend. Vater taten die beiden jungen Leute leid – Stella, weil sie sich vor Vincents Erscheinung so fürchtete und Vincent, weil er ihn lange genug kannte, um zu wissen, wie elend dieser sich in dem Moment fühlte. Er hielt immer noch Stellas Hand und umfasste sie nun etwas fester, um ihr Sicherheit zu vermitteln. Mit einer bittenden Geste forderte er Vincent auf, näher zu treten. Dieser machte zögernd einen Schritt auf ihn zu und blieb dann wieder stehen, den Kopf tief gesenkt. Mary zog sich das Herz im Leib zusammen, als sie den sonst so majestätisch wirkenden, stattlichen Mann so verschüchtert im Raum stehen sah, der es nicht wagte, die Kapuze vom Kopf zu nehmen und sein Gesicht zu zeigen. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Stella in ihren Kissen immer kleiner wurde. Sie setzte sich zu ihr aufs Bett und legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Du brauchst dich nicht fürchten, wirklich nicht!“ flüsterte sie Stella zu. „Niemand wird dir etwas tun!“ Aber die junge Frau schien sie gar nicht zu hören. 

Vater räusperte sich und sagte mit leiser Stimme: „Stella, ich möchte nun endlich nachholen, was schon längst hätte geschehen sollen: ich möchte dir Vincent vorstellen – Jacobs Vater, meinen Sohn und unser aller Freund und Beschützer.“ Die letzten Worte betonte er besonders. Er wandte sich an Vincent: „Bitte, komm doch näher!“ Dieser hatte jedoch währenddessen Stella unter der Mähne hervor aufmerksam beobachtet. Er bemerkte, wie sie sich versteifte, sah ihre Lippen zittern und die weit aufgerissenen Angstaugen. Diese offensichtliche Abscheu hielt ihn davon ab, auch nur einen Finger zu rühren, geschweige denn, einen Schritt auf sie zuzugehen. Auch Stella hatte den großen Mann die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen, aus Furcht, dieser könne jeden Moment über sie herfallen.  

Jacob verfolgte die Szene vom Eingang aus. Als er merkte, dass sein Daddy keine Anstalten machte, sich Stella zu nähern und Stella wiederum ihre ablehnende Haltung beibehielt, traten ihm Tränen der Verzweiflung in die Augen. Er stürzte in den Raum und blieb zwischen den beiden, sich gegenseitig belauernden Erwachsenen stehen. Unschlüssig, wen er zuerst anflehen sollte, schnappte er schluchzend nach Luft, um dann mit beiden Händen den Arm seines Vaters zu greifen und, so derb er konnte, zu schütteln, als wolle er ihn wecken. „Daddy! Bitte!!!“ Doch der senkte seinen Kopf noch tiefer. Als der Junge merkte, dass er keinen Erfolg haben würde, wandte er sich an Stella und bettelte die junge Frau förmlich an: „Stella, bitte, das ist doch mein Daddy! Er ist der liebste Mensch auf der Welt! Bitte, hab doch nicht solche Angst! Ich hab doch auch keine!“ Vincent tat es in der Seele weh, seinen Kleinen für ihn so um Stellas Gunst betteln zu sehen, doch er wartete geduldig, was geschehen würde. Jacobs verzweifeltes Flehen schien die Frau aber nicht zu erreichen. Sie schüttelte ununterbrochen den Kopf und schob den Jungen sanft von sich. „Ich kann nicht, Jacob, bitte hör auf!“  

Vincent hatte genug. Was sollte das? Es hatte keinen Sinn, dieser Frau seine Bekanntschaft aufzudrängen. Sie musste von allein zu der Erkenntnis gelangen, dass diese übertriebene Angst kindisch war. Es musste ihr doch klar sein, dass sie von ihm nichts zu befürchten hatte, wenn sogar ein kleiner Junge, ein alter Mann und das gesamte übrige Tunnelvolk keine Bedenken hatten, mit ihm zusammenzuleben! Und die hatten schon Einiges mit ihm mitmachen müssen! Als er merkte, dass sich die Verkrampfung der Frau trotz Vaters und Jacobs Versicherung nicht löste, knurrte er ein kurzes: „Jacob, komm!“. Dann drehte er sich abrupt um und verließ die Kammer ohne ein weiteres Wort. Er verstand Stellas Verhalten nicht, denn er konnte ja nicht wissen, dass sie seine Erscheinung mit ihrem brutalen Ex-Mann assoziierte. 

Der kleine Junge stand mitten im Raum und wollte eigentlich nicht gehen, ohne vorher Stella von der Harmlosigkeit seines Daddy’s überzeugt zu haben. Doch er hatte zu gehorchen. Es machte ihn sehr traurig, aber auch wütend, dass die beiden Erwachsenen sich einfach nicht vertragen wollten. Er warf seiner großen Freundin einen vorwurfsvollen Blick zu, stampfte wütend mit dem Fuß auf und rannte schluchzend aus dem Raum. „Jacob!“ rief Vater ihm erschrocken nach, denn solches Gebaren hatte er bei seinem kleinen Enkel noch nie beobachtet. Doch im Korridor blieb es still. Er fragte Mary: „Sollte nicht einer von uns nach ihm schauen?“ Diese hatte die ganze Zeit still auf dem Bett gesessen und all das mit Tränen in den Augen beobachtet. Sie schluckte an einem großen Kloß, der ihr im Hals saß, bevor sie antworten konnte. „Nein, nein. Lass ihn. Vincent wird sich schon um ihn kümmern.“ Dann stand sie seufzend vom Bett auf, sah Stella mit traurigen Augen an und sagte: „Dir scheint es ja jetzt wieder besser zu gehen. Ich muss mich um die Kinder kümmern.“ Stella schien es, als würde ein leicht verärgerter Unterton in ihrer Stimme mitschwingen. Sie sah Vater an, der enttäuscht seine Sachen im Arztkoffer verstaute. „Bitte, versteht mich doch. Es ist doch keine böse Absicht, aber euer Vincent macht mir Angst. Ich kann das einfach nicht überwinden. Noch nicht!“ Vater nickte wortlos, nahm seinen Gehstock und humpelte zum Eingang. Es schien Stella, als wenn er noch ein wenig gebeugter und schleppender ging als sonst. Mary folgte ihm. Schon halb im Korridor drehte er sich noch einmal kurz um und meinte nur: „Ruh dich noch ein wenig aus. Wir sehen uns dann zum Abendessen.“ Dann war Stella allein. 

Vincent war nach dem Verlassen der Krankenkammer hinter der nächsten Wegbiegung stehen geblieben und hatte sich an die Tunnelwand gelehnt. Er stand mit gesenktem Kopf und starrte nachdenklich auf seine Stiefelspitzen. Wieso ging ihm das Erlebnis mit Stella so nah? Warum kränkte ihn ihre Abneigung so sehr? Er war es eigentlich gewöhnt, dass Neuankömmlinge, besonders Erwachsene, bei der ersten Begegnung erschraken, aber mit freundlichen, ruhigen Begrüßungsworten hatte er sie immer sehr schnell davon überzeugen können, dass er es gut mit ihnen meinte und sie nichts zu befürchten hatten. Es störte ihn, dass er so gar keinen Zugang zu Stella fand. Nicht einmal, nachdem er sie vor einem Sturz in den Fluss bewahrt hatte. Er würde sehr gern mit der Fremden gut auskommen wollen, schon allein deshalb, weil Jacob sie so sehr mochte. Doch gegen den Widerwillen, der ihm entgegengebracht wurde, war er machtlos. Auf diese Art war ein Kennenlernen unmöglich. Er schüttelte ratlos den Kopf. Wahrscheinlich musste er der Frau mehr Zeit lassen. Sie wusste ja jetzt, wer er war und wie er aussah. Sie musste sich nur erst an den Gedanken gewöhnen. Jacob, Vater und die anderen würden sicher auch noch ihren Teil dazu beitragen, ihr die Furcht vor ihm zu nehmen. Er nahm sich vor, Jacob zu Liebe geduldiger mit ihr zu sein.  

Die Schritte kleiner Füße und ein vernehmliches Nasehochziehen rissen ihn aus seinen Gedanken. Vincent hockte sich in den Gang, um mit ausgebreiteten Armen seinen unglücklichen Sohn in Empfang zu nehmen. Er drückte ihn tröstend an sich und wartete geduldig, bis sich sein Junge ausgeweint hatte. Dann nahm er das kleine Kinn in die eine Hand und wischte mit der anderen die Tränen von Jacobs Wangen. „Ist schon gut.“ flüsterte er, zog ein Taschentuch hervor und wollte dem Jungen die Nase putzen. Der aber trat einen kleinen Schritt zurück, nahm seinem Daddy das Tuch aus der Hand und meinte bockig: „Ich kann das schon alleine. Bin doch keine Baby mehr!“ Vincent stand auf, nickte und antwortete ernst: „Selbstverständlich! Entschuldige bitte!“ Lächelnd schaute er auf den Knaben hinab und wartete, bis dieser mit dem Taschentuch erledigt hatte, was dringend notwendig zu sein schien. Dann legte er ihm einen Arm um die Schulter und sie wanderten schweigend durch die Tunnel. In stummem Einverständnis  landeten sie am Ufer des Spiegelteiches. Dort sammelten sie kleine Steinchen auf und ließen diese abwechselnd über die Oberfläche des Sees hüpfen. Nach einer Weile brach Jacob das Schweigen: „Daddy, warum hat Stella Angst vor dir?“ Vincent hatte schon geahnt, dass irgendwann diese Frage kommen würde. Er setzte sich im Schneidersitz dicht ans Ufer des Sees und klopfte leicht mit der flachen Hand auf die freie Stelle neben sich. Ein Zeichen für Jacob, sich zu ihm zu setzen. Nach kurzer Überlegung sagte er leise: „Stella hat sicher noch nie einen Menschen wie mich gesehen. Es gibt Leute, die alles, was sie nicht kennen, meiden oder auch fürchten. Gib ihr Zeit. Sie wird sich schon an mich gewöhnen. Das kann man nicht erzwingen, weißt du?“ Jacob war mit dieser Antwort nicht wirklich zufrieden: „Aber Grace und der kleine Noah hatten doch auch keine Angst, als sie zu uns kamen.“ In dem Moment, als er versuchte, Jacob seine Frage zu beantworten, wurde ihm klar, dass er selbst bisher auch noch nicht darüber nachgedacht hatte, wieso diese Frau dermaßen panisch auf ihn reagierte. Vincent neigte leicht den Kopf zur Seite und sah den Jungen an: „Jeder Mensch ist da eben anders. Stella scheint besonders ängstlich zu sein. Wir können nicht wissen, was sie schon alles mitgemacht hat, bevor sie hierher kam. Vater weiß sicher mehr über sie. Wir werden ihn nachher fragen, einverstanden?“ Vincent wog einen grauen Kiesel in der Hand und warf ihn dann mit einer kleinen Bewegung locker aus dem Handgelenk fast bis in die Mitte des Teiches. Der Junge nickte und versuchte, zu verstehen. „Ich will so gern, dass Stella hier bleibt. Ich will nicht, dass sie Angst hat, denn wenn sie lacht, ist sie so schön! Dann glitzern ihre Augen so fröhlich!“ Er holte mit dem Arm weit aus und warf ein kleines Steinchen so weit er konnte. Der Kiesel traf fast genau die gleiche Stelle, an der vorher sein Vater den Stein versenkt hatte. Er nickte zufrieden und ließ ein leises „Yeah!“ hören. Vincent lächelte amüsiert. Jacob redete mit verträumtem Blick weiter: „Und wenn ich abends bei ihr auf dem Bett sitze und wir Geschichten hören, dann guckt sie mich manchmal so komisch an.“ Vincent legte die Stirn in Falten: „Komisch? Wie meinst du das?“ Jacob sah seinen Dad an und überlegte, wie er das erklären sollte. „Na, eben so komisch. Sie lächelt dabei und guckt so wie die Mami auf dem Bild!“ Vincent zuckte zusammen. Er schloss die Augen und unterdrückte ein Stöhnen. Jacob hatte ja in letzter Zeit viel von der Fremden geschwärmt und er, Vincent, verstand das auch nur zu gut, aber der Vergleich mit Catherine versetzte ihm nun doch einen schmerzhaften Stich ins Herz. Es störte ihn ein wenig, dass der Junge mehr für diese Stella zu empfinden schien als für seine Mutter. Doch konnte und wollte er dem Jungen keine Vorwürfe machen, denn der hatte seine Mama ja nie kennengelernt. Er selbst dagegen konnte sich natürlich noch kein genaues Bild von Stella machen. Es würde sicher noch eine Weile dauern, herauszukriegen, ob Jacob mit seiner Behauptung wirklich Recht hatte. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass es irgendwo auf dieser Welt irgendjemanden gab, der Catherine in irgendeiner Weise ähnlich war.  

Jacob hatte die plötzliche Veränderung im Gesicht seines Vaters bemerkt und fragte vorsichtig: „Daddy? Ist alles in Ordnung mit dir?“ Vincent nickte nur. Er atmete tief durch und versuchte, den Kleinen neben sich anzulächeln, der ihn mit seinen großen, blauen Augen besorgt ansah. „Du hast Stella sehr lieb, was?“ fragte er ihn. Jacob stand auf und war nun auf Augenhöhe mit seinem Dad. Er nagte an seiner Unterlippe und zögerte, bevor er leise antwortete: „Weißt du, Daddy, wenn ich mir früher Mamis Bild angesehen habe, dann hab ich mir immer überlegt, wie sie wohl gesprochen und gelacht hat, als sie noch hier bei uns lebte.“ Er grinste schelmisch: „Oder auch, wie sie mit mir schimpfen würde, wenn ich was anstelle.“ Sein Gesichtchen wurde wieder ernst: „Und dann, als Stella plötzlich da war und ich hab mir dann Mamis Bild angeguckt, da hatte Mami in meinen Gedanken auf einmal Stellas Stimme. Das war ganz komisch. So ein Mischmasch, verstehst du?“ Und ob er verstand! Der Kleine wollte eine Mutter und bastelte sie sich nun auf diese Weise zurecht. Jacob trat dicht an seinen Vater heran und legte seine Ärmchen um dessen Nacken. Zwei aquamarinblaue Augenpaare trafen sich und beide hatten den gleichen melancholischen Ausdruck. Vincent zog den Jungen an sich: „Ich verspreche dir, dass ich mir große Mühe geben werde, mich mit Stella zu vertragen. Es tut mir so sehr leid, was da vorhin passiert ist. Aber so ganz allein werde ich es nicht schaffen. Sie muss sich auch ein bisschen anstrengen. So lange sie es nicht will, kann ich nichts machen.“ Jacob nickte. „Ja, ich weiß. Heute Abend nach der Geschichte kann ich ja noch mal mit ihr reden. So kann das mit euch beiden ja schließlich nicht weitergehen!“ meinte er mit wichtiger Mine und klopfte seinem Vater auf die Schulter. Vincent lachte leise, da er in diesen Worten und diesem Tonfall eindeutig Vater wiedererkannte. 

Stella hockte mit einem furchtbar schlechten Gewissen im Bett und starrte vor sich hin. Sie hatte Vater und Mary ganz sicher nicht enttäuschen wollen und auf keinen Fall war es ihre Absicht gewesen, Jacob so wehzutun und seinen Vater zu brüskieren. Es war zum Verzweifeln, dass sie die Aversion gegen große, breitschulterige Männer nicht ablegen konnte. Eigentlich wäre der Besuch bei einem Psychologen dringend notwendig. Stella war sich unschlüssig darüber, was sie nun machen sollte. Jetzt, wo sie allein war und die letzte Stunde noch einmal Revue passieren ließ, wurde ihr langsam klar, dass sie auf die anderen ziemlich kindisch gewirkt haben musste. Alle hatten sich so bemüht, ihr nach der Krankheit wieder auf die Beine zu helfen und waren stets freundlich zu ihr. Sie kam sich so undankbar vor, aber sie hatte das Gefühl, niemals im Leben dieses Trauma, das David ihr verpasst hatte, überwinden zu können. Würde sie jemals mit diesem Vincent warm werden? Es war doch aber unmöglich, ihm ständig aus dem Wege zu gehen, um Geschehnisse wie das der letzten Stunde zu vermeiden. Ebenso konnte man von Vincent nicht verlangen, sich wegen ihr rar zu machen. Dieser Mann war fester Bestandteil der Tunnelgemeinschaft - von allen geliebt, verehrt und bewundert, das war ihr klar. Vater war hier unten der Regent und Vincent sozusagen der Thronfolger. Niemand hatte mehr als er das Recht, sich hier aufzuhalten und frei zu bewegen. Sie selbst dagegen war nur ein geduldeter Gast, der zufällig in den Tunneln gelandet war und den man aus Barmherzigkeit nicht weggejagt hatte. Sie wurde zwar von niemandem angefeindet, aber als voll integriertes Tunnelmitglied anerkannt war sie noch lange nicht. Diesen Status würde sie sich erst noch verdienen müssen, das hatte Vater unmissverständlich klargestellt. Welchen Nutzen hatte ihre Anwesenheit denn schon für die Leute hier unten? Eigentlich war sie doch nur ein Esser mehr, der versorgt werden musste. Bisher hatte sie nichts weiter getan als die Kinder ein wenig zu unterrichten und Mary etwas zu entlasten. Es würde sie nicht wundern, wenn man sie nicht in die Gemeinschaft aufnehmen würde, besonders nach dem, was vorhin passiert war. Ausgerechnet gegen Vincent diese extreme Abneigung zu hegen war ein dicker Minuspunkt. Wieso musste dieser Mann auch im Halbdunkel David so ähnlich sehen? Ihr Magen krampfte sich zusammen, wenn sie an die Gestalt dachte, die den gesamten Tunnelgang ausgefüllt hatte. Schon allein bei diesem Gedanken stellten sich ihr die Nackenhaare auf. Ihr wurde immer bewusster, dass sie auch hier in den Tunneln eine ständige Angst verfolgen würde. Mit dieser allgegenwärtigen Furcht wollte und konnte sie nicht leben. Das hatte sie ihren Ehejahren zu Genüge aushalten müssen. Stella dachte an die riesige, behaarte Hand mit den langen, bedrohlichen Krallen. Sie spürte den schraubstockähnlichen Griff immer noch an ihrem Handgelenk, ebenso die Stärke des Armes, der sie mühelos emporgezogen hatte. Bei der Erinnerung an dieses Gesicht, das dem eines Raubtieres glich, die blitzenden Reißzähne und die wilde Mähne gefror ihr das Blut in den Adern. War er wirklich so harmlos, wie die anderen ihr vermitteln wollten? Sie konnte sich sehr gut vorstellen, dass dieser Mann bei Weitem gefährlicher und tödlicher als David sein konnte, würde er erst einmal in Wut und außer Kontrolle geraten. Andererseits – er hatte ihr das Leben gerettet. Hätte er ihr etwas Böses antun wollen, dann wäre ihre Bewusstlosigkeit eine ideale Gelegenheit dafür gewesen. Doch er hatte ja überhaupt kein Motiv, ihr weh zu tun oder sie gar zu töten. Doch einen Grund, sie vor dem Absturz zu bewahren, gab es für ihn auch nicht, und doch hatte er es getan. Aus Reflex? Aus Mitleid? Aus Menschlichkeit? Eigentlich sollte es für sie gleichgültig sein, warum dieser Mann so gehandelt hatte – sie schuldete ihm in jedem Falle Dank! Er trug schließlich keine Schuld an ihrer Phobie.  

Nach diesen Überlegungen kamen für Stella nur zwei Möglichkeiten in Frage – eine zweite Flucht in ihre kleine Versorgungskammer, wieder in der Fußgängerzone Bilder malen und an Hintertüren um Essen betteln oder eine selbstverordnete Konfrontationstherapie, um hier unten mit den Leuten, besonders mit Jacob, ohne Angst zusammenleben zu können. 

Stella entschied sich, Letzteres zuerst zu versuchen. Verschwinden konnte sie immer noch. Sie schlug die Decke zurück und schlüpfte in ihre Stiefel. Die Bewegungen fielen ihr schwer. Sie war müde und erschöpft. Am liebsten wäre sie sofort wieder ins Bett gekrochen, um sich in die warme Decke einzurollen. Aber wenn sie jetzt nicht sofort versuchte, ihren Plan in Angriff zu nehmen, würde sie ihn vermutlich ganz schnell wieder über den Haufen werfen und weglaufen.



[editiert: 17.01.10, 13:33 von sheena]
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