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Gericht: Sozialgericht München
Aktenzeichen: S 50 AS 427/05 ER
Datum der Entscheidung: 21.09.05
Paragraph:
Entscheidungsart: Beschluss
Überschrift: Lebt ein Kind bei beiden Elternteilen, bildet das Kind zeitanteilig eine Bedarfsgemeinschaft bei den jeweiligen Elternteilen. Es hat jeweils Anteilige Regelleistungsansprüche. Da es nicht möglich ist, den Unterkunftsbedarf nur anteilig zu übernehmen, ist dieser bei den Elternhaushalten jeweils mit dem Kind zu übernehmen.
Instanz 1: S 50 AS 427/05 ER
Instanz 2:
Instanz 3:
Redaktioneller Leitsatz:
Entscheidung: Sozialgericht München
S 50 AS 427/05 ER
In dem Antragsverfahren
1. XXXXX XXXXXXX
- Antragsteller-
2. XXXXXX XXXXXX
- Antragsteller
gegen
Arbeitsgemeinschaft Grundsicherung für Arbeitssuchende Land-Kreis Rosenheim, Wittelsbacherstraße 57, 83022 Rosenheim, vertreten durch den Geschäftsführer
-Antragsgegnerin-
erlässt die Vorsitzende der 50. Kammer, Richterin am Verwaltungsgericht Dürig- Friedl, ohne mündliche Verhandlung am 21. September folgenden
Beschluss:
I. Die Antragsgegnerin ist verpflichtet, dem Antragsteller zu 2) ab dem 1. August 2005 anteilig Sozialgeld nach dem SGB II unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu gewähren und die tatsächlichen Unterkunftskosten des Antragstellers zu 1) zu übernehmen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Der Antragsteller zu 1) ist Vater des 1996 geborenen Antragstellers zu 2), von dessen Mutter er getrennt lebt. Der Antragsteller zu 2) ist seit dem 16.1.2004 mit Nebenwohnsitz beim Antragsteller zu 1) gemeldet.
Er wohnt mit Hauptwohnsitz bei seiner Mutter und hält sich ausweislich des Beschlusses des Amtsgerichts Rosenheim, Familiengericht vom 10.9.2003 jedes zweite Wochenende von Freitagmittag bis Montag früh, in der Folgewoche von Donnerstagmittag bis Freitag früh und in der Umgangsrechtswoche von Dienstagmittag bis Freitag früh bei seinem Vater auf.
Der Antragsteller zu 1) bewohnt eine 50 qm große Zweizimmerwohnung, für die der Antragsteller einschließlich der Abschlagszahlungen für Heizung, Wasser und Betriebskosten 320 Euro monatlich bezahlt; ausweislich der Heizkostenabrechnung betragen die Heizkosten monatlich 40,19 Euro. Das Kindergeld für den Antragsteller zu 2) wird an die Mutter ausgezahlt.
Mit Bescheid vom 29.11.2004 und mit Folgebescheid vom 11.7.2005 wurden dem Antragsteller zu 1) Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 759,15 € bis 31.7. 2005 und 679,19 € ab 1.8.2005 gewährt.
Die Unterkunftskosten wurden auf 334,19 € festgesetzt.
Der Bedarf des Antragstellers zu 2) wurde nicht berücksichtigt.
Der Antragsteller legte am 10.1.2005 Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.11.2004 und am 11.7.2005 gegen den Bescheid vom 4.7.2005 ein. Er habe einen Anspruch auf Sozialgeld für seinen Sohn in anteiliger Höhe, da er mit diesem ebenfalls eine Bedarfsgemeinschaft bilde. Auch bei der Höhe der Unterkunftskosten sei sein Sohn zu berücksichtigen.
Mit Schreiben vom 4.7.2007 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass seine derzeitigen Unterkunftskosten die für einen Einpersonen-Haushalt auf 312 € festgesetzten angemessenen Unterkunftskosten um 22,19 € überstiegen. Der Antragsteller zu1) wurde aufgefordert, binnen sechs Monaten ab 7.7.2005 die Unterkunftskosten zu senken.
Über die Widersprüche wurde bisher nicht entschieden. Der Antragsteller hat am 13.7.2005 Untätigkeitsklage auf Verbescheidung des Widerspruchs vom 10.1.2005 erhoben (S 50 AS 373/05).
Mit Schreiben vom 28.7.2005, eingegangen beim Sozialgericht München am 29.7.2005, beantragte der Antragsteller zu 1) sinngemäß:
Die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller ab 1.7.2005 Sozialgeld, für seinen Sohn in Höhe von 44 % des geltenden Regelsatzes zu gewähren und diesen als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen.
Da seit. dem 5.7.2005 der Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld weggefallen sei, könne er allein mit dem Regelsatz den Bedarf seines Kindes nicht decken. Aufgrund seines Umgangsrechtsund seiner Umgangspflicht, das tatsächlich ausgeübt werde, bestehe eine Bedarfsgemeinschaft, die bei der Gewährung der Leistungen nach dem SGB II zu berücksichtigen sei.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schreiben vom 9.8.2005: Antragsablehnung.
Eine Bewilligung von Sozialgeld sei nicht möglich, da keine Bedarfsgemeinschaft vorläge.
Das Kind lebe nach Angaben des Antragstellers zu 56 % des Jahres bei der Mutter und sei dort mit Hauptwohnsitz gemeldet. Der gewöhnliche Aufenthalt sei daher bei der Mutter und nicht beim Antragsteller. Der Lebensunterhalt des Kindes während der Besuchszeiten beim Vater könne durch die entsprechende Aufteilung des Kindergeldes gewährleistet werden.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Der Antrag war nach verständlicher Würdigung des Antragsbegehrens dahingehend auszulegen, dass richtiger Antragsteller hinsichtlich des anteiligen Sozialgelds, nach dem SGB II das Kind ist.
Da die begehrte Leistung der Sicherung des Lebensunterhaltes des Kindes dienen soll, handelt es sich nicht um einen Anspruch des Vaters, sondern um einen eigenen Anspruch des Sohnes (Brühl in LPK- SGB II §7 Rdnr. 37; Eicher/Spellbrink, SGB II' § 7 Rdnr. 21).
Soweit der Antragsteller zu 1) geltend macht dass ihm wegen der Bedarfsgemeinschaft mit seinem Sohn ein höherer Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld und ein größerer Unterkunftsbedarf zustehen, handelt es sich um eigene Ansprüche des Antragstellers zu 1).
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nur zulässig, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich erscheint und sowohl- ein Anordnungsgrund, d.h: die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung, als auch ein Anordnungsanspruch, d.h. ein materieller Rechtsanspruch glaubhaft gemacht wurden. Vorliegend haben die Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin gehört der Antragsteller zu 2) zur Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers zu 1) .
Nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II gehören zur Bedarfsgemeinschaft die dem Haushalt angehörenden minderjährigen unverheirateten Kinder eines erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Da sich der Antragsteller nicht nur besuchsweise, sondern regelmäßig über ein Drittel des Monats bei seinem Vater aufhält, gehört er zu dessen Haushalt. Da er die restliche Zeit des Monats im Haushalt seiner Mutter verbringt, gehört er auch deren Haushalt an und ist deshalb Mitglied in zwei verschiedenen Bedarfsgemeinschaften. Dies hat zur Folge, dass die Berechnung seiner Ansprüche auf Leistungen der Sicherung zum Lebensunterhalt nach dem SGB II anteilig bezogen auf die jeweilige Bedarfsgemeinschaft zu erfolgen hat. Zugrunde zu legen ist dabei als Regelbedarf des Antragstellers zu 2) die Anwesenheitszeit in der jeweiligen Bedarfsgemeinschaft. Auch die Anrechnung von Einkommen und Vermögen der Eltern nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB-II ist getrennt nach den bestehenden Bedarfsgemeinschaften vorzunehmen. Für die Bedarfsgemeinschaft, die der Antragsteller zu 2) mit seinem Vater bildet, kommt es daher auf Einkommen und Vermögen seiner Mutter nicht an, da diese nicht Teil dieser Bedarfsgemeinschaft ist. Ob dem Antragsteller zu 2) deshalb Sozialgeld in der beantragten Höhe von 94 Euro zusteht, kann vorliegend nicht entschieden werden, da Einkommen und Vermögen des Antragstellers zu 2) ebenfalls anteilig zu berücksichtigen sind. Dazu gehört nach § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II auch das Kindergeld, das kraft Gesetz für minderjährige Kinder als Einkommen dem jeweiligen Kind zu zurechnen ist, soweit es bei ihm zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird (BayLSG vom 25.8.2005, L 7 B 350/05 AS.ER).
Bei ihrer Prüfung hat die Antragsgegnerin auch zu berücksichtigen, ob es sich für den Antragsteller zu 2) um verfügbares Einkommen und Vermögen handelt, das ggf. vom anderen Elternteil eingefordert werden kann.
Der Antragsteller zu 1) hat einen Anspruch darauf, dass wegen der Bedarfsgemeinschaft mit seinem Sohn seine tatsächlichen Unterkunftskosten bei der Berechnung der Leistungen für ihn berücksichtigt werden.
Die Antragsgegnerin hat zu Unrecht mit Schreiben vom 4.7.2005 als Mietobergrenze den Wohnbedarf für eine Person zugrunde gelegt. Im Hinblick darauf, dass die Unterkunftskosten des Antragstellers zu 1) um 22 Euro über den von der Antragsgegnerin als angemessen festgelegten Unterkunftskosten für einen Einpersonen-Haushalt liegen, stellt sich hier die Frage nicht, ob die tatsächlichen Unterkunftskosten für zwei Personen zu hoch sind. Zur Klarstellung weist das Gericht darauf hin, dass es nicht möglich ist, den Unterkunftsbedarf anteilig zu übernehmen, da der Antragsteller zu I) wegen seines gesetzlich und verfassungsrechtlich gewährleisteten Umgangsrechts und der damit verbundenen Umgangspflicht ausreichenden Wohnraum vorhalten muss.
Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da der Antragsteller zu 1) ab 1.8.2005 niedrigere Leistungen wegen Wegfall des Arbeitslosengeldzuschlags nach § 24 SGB II erhält. Da die Regelleistung in Höhe von 345 Euro auf den Bedarf einer einzelnen Person abstellt, besteht die Notwendigkeit einer gerichtlichen Entscheidung, um den Lebensunterhalt des Antragstellers zu 2) während der Aufenthaltszeit bei seinem Vater zu sichern. Dies gilt auch hinsichtlich der Anerkennung der tatsächlichen Unterkunftskosten, da es dem Antragsteller zu 1) nicht zumutbar ist, einen Bescheid über die gekürzten Unterkunftskosten abzuwarten.
Der Antragsteller zu 1) hat eine vorläufige Regelung für die Zeit ab 1.7.2005 beantragt. Da eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands grundsätzlich nicht für die Vergangenheit getroffen wird, war der Leistungsbeginn auf den 1.8.2005 festzulegen.
Soweit die Antragsteller Leistungen für die Vergangenheit beantragen, fehlt ein Anordnungsgrund. Es ist dem Antragsteller zu 1) zuzumuten, eine Entscheidung im Widerspruchsverfahren über den erhöhten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld II für Juli 2005 abzuwarten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss ist gemäß den §§ 172 Abs.1, 173 SGG Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht München, Richelstraße 11, 80534 München, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerdefrist ist, auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Vorsitzende der 50. Kammer
Dürig- Friedl
Richterin am Verwaltungsgericht
Schlagwort: Kinder bei beiden Elternteilen