Kürzlich war
Stefan Kohler beim Coiffeur. Nicht allein, versteht sich. Wie immer in
den letzten vier Wochen folgt ihm jemand auf Schritt und Tritt: ein
Übersetzer. Kohlers Strassen-Albanischkenntnisse aus der Fahrweid
reichen nicht aus, um sich zu verständigen.


Der Coiffeur setzt seine Wünsche um. Dabei ist es vielleicht ein
Glück, dass die mittellange Haarpracht von einst einer Funktionsfrisur
gewichen ist. 2 Franken zahlt Kohler für den Haarschnitt. Willkommen in
Tetovo.


Ultras gewinnen Investor


Seit vier Wochen ist der 30-Jährige im Nordwesten von Mazedonien
tätig. Als Skilltrainer im KF Shkëndija, einem Verein mit albanischem
Hintergrund. 2011 gewann der Verein die Meisterschaft, geriet danach in
finanzielle Schieflage, und stand nach der Saison 2012/13 vor dem Aus.


Die Ultras machten sich über Social Media auf die Suche nach
Investoren und fanden dabei in den Personen von Xherdan Shaqiri und dem
albanischen Nationalspieler Lorik Cana prominente Unterstützer. Im Juli
2013 stieg mit dem Militärdienstleistungsunternehmen Ecolog ein potenter
Investor ein. Die Gründerfamilie stammt aus Tetovo.


Europa League angepeilt


Der Plan: Der Verein, der aktuell im Mittelfeld der höchsten Liga
liegt, soll mittelfristig um den Einzug in die Europa League spielen.
Dafür wird nicht einfach schubkarrenweise Geld herangekarrt, sondern
eine Nachwuchsakademie aufgebaut, um die grössten Talente des Landes in
dem Verein zusammenzuziehen und zu fördern.


Dank dieser Massnahme will man dereinst eine starke Mannschaft haben
sowie durch Transfererlöse Geld verdienen. Ein Hoffenheim in Mazedonien,
gewissermassen.


Das alles soll durch das Geld von Ecolog sowie Schweizer Know-how
verwirklicht werden. Hier kommt Stefan Kohler ins Spiel. Über seinen
brüderlichen Freund Mathias Walter, dessen Firma unter anderen Xherdan
Shaqiri in Marketingfragen berät und unterstützt, hat der frühere Profi
nach Tetovo gefunden.


Unterschiedliche Aufgaben



Kohler ist in erster Linie Skilltrainer, er fördert also gezielt
die Fähigkeiten der Talente. Darüber hinaus hat er weitere Coaching-
sowie Scoutingfunktionen inne. Bis auf den Freitag sei er jeden Tag am
Arbeiten.


Zweifel hat der leicht zu begeisternde Kohler längst ausgeräumt.
Grund zu zögern gab es. Er wusste nicht, ob und wie er die
Sprachbarriere überwinden konnte. So war sein Staunen gross, dass er
sich auf der Geschäftsstelle in Hochdeutsch unterhalten kann.


Bei der Arbeit mit den Nachwuchsspielern übersetzen Kohlers Kollegen
die Anweisungen vom Englischen ins Albanische. «Ich kann mich gut auf
Englisch unterhalten. Einige Fachausdrücke kenne ich zwar nicht, aber
man versteht sich immer. Es geht ja um Fussball.»


Zweifel nur am Anfang


In seiner abwechslungsreichen Aktivlaufbahn stand Kohler oft seine
Gutgläubigkeit im Weg. Falsche Versprechungen, nicht überwiesene Löhne -
die üblichen Klaglieder ausminderen Ligen. Gute Freunde hätten ihm vom
Engagement im Tetovo abgeraten. Was, wenn alles nur eine Seifenblase ist
und Kohler am Ende mit abgesägten Hosen dasteht?


Es ist anders herausgekommen. Kohler bewohnt eine moderne Wohnung
(«Schweizer Qualität»). Er hat seinen ersten Lohn erhalten und braucht
ohnehin so gut wie kein Geld: Essen kann er in einem Restaurant auf
Vereinskosten, einer der zwei Fahrer des Vereins chauffiert Kohler,
wohin er will.


Gegensätze zur Schweiz


In der Stadt und besonders auf seinen Scouting-Reisen durch das Land
wird er mit der «herzlichen Art der Menschen» konfrontiert, aber auch
mit der Armut, deren Beschreibungen viele Klischees bedienen: Esel
mitten auf den Strassen, die manchmal zwischen Schlaglöchern nur noch
erahnt werden können. «Es ist ein Kulturschock. Der Glanz von Zürich
fehlt mir manchmal, die Bahnhofstrasse...», sinniert Kohler.


Schliesslich sagt er: «Man muss etwas verrückt sein, um das hier zu
machen. Und man muss gute Leute um sich haben.» Kohlers Hauptaufgabe
liege darin, die Mentalität der Spieler zu ändern. «Der Verein ist nach
Europa ausgerichtet, während die Einstellung der Spieler nicht einmal
Challenge-League-Niveau hat», erklärt er.


Anders als in Wettswil


Bis Ende Mai läuft sein Engagement einstweilen. Die Möglichkeit zur
Verlängerung bestehe. Kohler ist grundsätzlich interessiert, macht seine
Zukunft in Mazedonien aber davon abhängig, wie viel von der geplanten
neuen Infrastruktur tatsächlich zugesichert ist. «Hier etwas zu bauen
ist komplizierter als beispielsweise in Wettswil», hat der ehemalige
Spieler von Wettswil-Bonstetten festgestellt.


Immerhin: In drei Wochen soll der grosse Kunstrasenplatz
fertiggestellt sein. Den erstellt die Stadt allerdings nicht allein für
den KF Shkëndija, sondern auch für den Lokalrivalen FK Renova. Das
städtische Stadion teilen sich die beiden Verein ebenfalls. Geht es nach
Kohler und seinen Mitstreitern, sollen diese Zeiten bald vorbei sein.