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Wie in Skopje eine Nation gebaut wird ‎

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New PostErstellt: 25.07.12, 02:00  Betreff: Wie in Skopje eine Nation gebaut wird ‎  drucken  Thema drucken  weiterempfehlen


In Mazedonien sickert die Religion zunehmend in die
interethnischen Konflikte ein. Sie wird dadurch politischer, die Politik
wird stärker religiös gefärbt. Die Gräben in der Gesellschaft haben
sich vertieft.
Andreas Ernst, Skopje

Hier
herrscht der Horror Vacui – die Angst vor dem leeren Raum. Im
Stadtzentrum Skopjes wird einer der letzten freien Plätze überbaut. Auf
dem idyllischen Vorhof vor dem Haus der Armee, wo einst Rentner und
Mütter mit Kinderwagen im Schatten der Bäume sassen, brennt die Sonne
auf die Bauabschrankung aus Blech. Hier, so besagt eine Tafel, wird eine
Kirche gebaut. Sie soll dem heiligen Konstantin und seiner Mutter, der
heiligen Helena geweiht werden. Der Furor, mit der Regierung und
Stadtväter die Innenstadt mit Denkmälern, Symbol- und Sakralbauten
zustellen, ist fast schon unheimlich. 40 Denkmäler und 20 zum Teil
grosse, antikisierende Neubauten wurden oder werden gebaut.

Zurück in die Antike

Als
Besucher fühlt man sich wie in einem riesigen Freilichttheater. Der
Hauptplatz ist als Platz kaum mehr erkennbar. Er ist möbliert mit
Denkmälern antiker Mazedonier und Kämpfer gegen die Osmanen. In der
Mitte dominiert das riesige Reiterstandbild Alexanders des Grossen.
Blickt man rundherum, so scheint es, als würden Kulissen hochgezogen.
Die Fassaden unscheinbarer Bürogebäude sind mit barockisierenden
Schnörkeln überklebt. In einer Ecke steht ein klassizistischer Pavillon.
Schräg gegenüber wurde ein Triumphbogen in einen schmalen Zugang zum
Platz gezwängt.

Was wird hier inszeniert? Das Stück heisst «Skopje
2014». Es dient vordergründig der Verschönerung der Innenstadt, ist
aber eigentlich der Versuch, Nationsbildung (Nation Building) einmal
wörtlich zu nehmen und eine Nation zu bauen. Mazedonien oder genauer die
Mazedonier sollen sich im Spiegel ihrer veränderten Innenstadt nicht
mehr als Erben einer titoistischen Teilrepublik sehen, sondern als
Abkömmlinge eines antiken Volkes und Bürger eines starken Staates. Seit
dem Baubeginn vor zwei Jahren hat das Projekt zeitweise heftigen
Widerstand entfacht. Allerdings kaum Debatten. Denn die Regierung
diskutiert nicht, sie baut.

Ein wichtiger Aspekt dieses Projekts
ist die Religion. Sie sorgt für die heftigsten Konflikte beim Experiment
der Erneuerung der mazedonischen Nation. Als Pionierbau des Projekts
«Skopje 2014» hätte die Konstantin-und-Helena-Kirche eigentlich auf dem
Hauptplatz stehen sollen. Doch Proteste von zwei sehr unterschiedlichen
Seiten verhinderten 2009 die Grundsteinlegung. Zuerst war es eine Gruppe
von Architekturstudenten, die gegen den kirchlichen Anspruch antrat,
den Hauptplatz zu vereinnahmen. Dieser Ort, traditionell ein
Versammlungsplatz für politische, kulturelle und immer mehr auch für
kommerzielle Manifestationen, müsse frei bleiben. Dieses Ziel erreichten
die Studenten offensichtlich nicht. Aber aus ihrem Protest entstand
erstmals in der Geschichte des unabhängigen Mazedonien eine städtische,
säkulare und multiethnische Bewegung (siehe Kasten).

Streit um Sakralbauten

Eine
ganz andere Stossrichtung hatte die Initiative der Islamischen
Gemeinschaft: Wenn hier eine Kirche errichtet werde, so sagten die
Verantwortlichen, dann müsse auch die Burmali-Moschee, die 1925 von der
serbischen Armee abgerissen worden war, wieder aufgebaut werden. Nun
steht auf dem Hauptplatz weder Kirche noch Moschee, sondern ein
Monumentenpark.

Nonkonformisten

Als
Reaktion auf das Projekt «Skopje 2014» hat sich in Skopje eine lockere
multiethnische Bewegung gebildet. Eigentlich ist es eher eine
Lebensstil-Gruppe, die sich abgrenzt gegen die ethnische und religiöse
«Zuordnungswut» der Mehrheitsgesellschaft. Ihre Treffpunkte befinden
sich in der alten osmanischen Carsija, die, lange Zeit verwaist, jetzt
neue und attraktive Lokale aufweist. Diese Szene – die wahrscheinlich
nicht mehr als tausend Personen zählt – formiert sich gelegentlich zur
Protestbewegung. Als ein Jugendlicher im Juni 2011 nach einer
Wahlveranstaltung von einem Polizisten zu Tode geprügelt wurde, kam es
erstmals in der Geschichte des Landes zu gemeinsamen Protesten von
Mazedoniern und Albanern. Bisher waren in Skopje nur die Drogen- und die
Schwulenszene multiethnisch. Dass jetzt eine viel weniger randständige
Szene «gemischt» funktioniert, ist eines der wenigen Hoffnungszeichen
für Mazedoniens Demokratie.

Aber im Rückblick
erscheint der Streit um die Sakralbauten wie der Beginn eines Konflikts
um die Stellung der Religion in Politik und Gesellschaft. Die Presse
spricht von einem «Wettrüsten» der beiden grossen
Religionsgemeinschaften, der christlich-orthodoxen und der muslimischen.
Es soll mittlerweile eine Kirche oder eine Moschee auf 800 Einwohner
kommen, und der Bauboom geht weiter. Während die Regierung der
orthodoxen Kirche unter die Arme greift, erhält die islamische
Gemeinschaft Unterstützung aus arabischen Staaten und immer mehr auch
aus der Türkei. Für die Renovation und Wiedererrichtung osmanischer
Bauten hält Ankara ein grosszügiges Budget bereit. Die traditionelle
Frontstellung zwischen der mazedonischen und der albanischen Volksgruppe
in Mazedonien (65 Prozent beziehungsweise 25 Prozent der Bevölkerung)
hat dadurch eine neue Dimension erhalten.

Suche nach Identität

Es
gibt Anzeichen dafür, dass die Religion für junge Menschen wichtiger
geworden ist. Eine Soziologieprofessorin berichtet, dass sich ihre
Studenten vor den Examen regelmässig bekreuzigten, und danach gefragt,
bezeichneten sich etwa 90 Prozent als gläubige Christen. In manchen
Ministerien, so erzählt ein Bekannter, ist es üblich geworden, dass vor
allem junge albanische Mitarbeiter aufs Wochenende hin frühzeitig ihre
Arbeit beenden, um das Freitagsgebet in der Moschee nicht zu verpassen.
Dies alles sind eher neue Phänomene, wobei unklar ist, inwiefern diese
Religiosität weltlich motiviert ist oder ob sie eher als ein modisches
Attribut der Identität zu gelten hat.

Allerdings spielte die
Religion für die mazedonische nationale Identität seit je eine Rolle. Im
Jahre 1967 erteilte der sozialistische Staat der mazedonisch-orthodoxen
Kirche die Erlaubnis, sich einseitig vom Belgrader Patriarchat zu
trennen. Damit erhielt die mazedonische Nation ein religiöses Attribut.
Vor allem die national-konservative VMRO-Partei, die seit dem Jahre 2006
die Regierung bildet, betrieb schon lange vor dem Projekt «Skopje 2014»
eine religiös grundierte Identitätspolitik. Das riesige Kreuz auf dem
Vodno, dem Hausberg von Skopje, zeugt davon. Es wurde 2002 nach dem
bewaffneten Konflikt mit der albanischen UCK-Guerilla aufgestellt, deren
Nachfolgeorganisation, die DUI-Partei, seit 2008 zum zweiten Mal in der
Regierung sitzt.

Spontane Proteste

Auf der albanischen
Seite sehen die Dinge zunächst etwas anders aus. Für die Albaner ist die
Religionszugehörigkeit traditionell ein sekundäres Identitätsmerkmal.
In Mazedonien ist zwar der überwiegende Teil der albanischsprachigen
Bevölkerung muslimisch. Doch in Albanien, weniger in Kosovo, gibt es
wichtige katholische und orthodoxe Minderheiten (in Albanien sind
schätzungsweise 20 Prozent der Bevölkerung orthodoxe und 10 Prozent
katholische Christen).

Der albanische Nationalismus hat die
Religion als potenziellen Spaltpilz schon früh zur Privatsache erklärt.
«Die Religion der Albaner ist das Albanertum», heisst ein geflügeltes
Wort, das auf Pashko Vasa, einen der Gründerväter des albanischen
Nationalgedankens im 19. Jahrhundert, zurückgeht. Doch es gibt klare
Anzeichen dafür, dass sich die Bedeutung der Religion auch bei den
vorwiegend muslimischen mazedonischen Albanern verstärkt.

Die Strenggläubigen

Der
Grazer Ethnologe Robert Pichler hat die Transformation des
traditionellen Islam durch die Emigration in Mazedonien untersucht.
Interessant ist der Befund, dass die Verbindungen nach Westeuropa nicht
nur eine Säkularisierung in den Netzwerken der Migranten bewirken,
sondern auch das Gegenteil. In Dörfern im Südwesten des Landes, aber
auch in einigen Stadtteilen Skopjes haben sich über den Umweg der
Migration salafistische Gruppen etabliert, die im Konflikt mit ihren
Vätern liegen. Sie werfen ihnen eine «Vergottung der Nation» zulasten
des wahren Glaubens vor. «Der Islam ist unsere Nation», zitiert Pichler
einen jungen Salafisten. Nach andern Quellen sollen für diese
Reislamisierung, die mit dem moderaten traditionellen Sufismus nichts
gemein hat, auch mazedonischsprachige Muslime (Torbesi) empfänglich
sein, die sich damit gleichzeitig sowohl von den Mazedoniern als auch
von den Albanern abgrenzen.

Am 12. April
schreckte eine kaltblütige Bluttat Mazedonien auf. Unweit Skopjes hatten
Unbekannte fünf Jugendliche und einen Mann mittleren Alters erschossen.
Von den Tätern fehlte jede Spur, ebenso lagen ihre Motive völlig im
Dunkeln. Offensichtlich war nur, dass alle Opfer Mazedonier waren. Wenig
später trat die Innenministerin vor die Medien und teilte mit, man
verdächtige islamistische Terroristen der Tat. Worauf sich der Verdacht
gründet, weiss die Öffentlichkeit auch heute noch nicht.

Als nach
der Grossaktion «Monster» die Polizei Anfang Mai zwanzig Verdächtige
festgenommen hatte und die Innenministerin sagte, es handle sich um
radikale Islamisten, kam es zu einer spontanen, religiös gefärbten
Demonstration von mehreren tausend jungen Albanern. Spontan war der
Protest insofern, als nicht die etablierten albanischen Parteien und
Organisatoren dazu aufgerufen hatten. Mobilisiert wurde vielmehr in
Moscheen und auf Facebook. «Allah ist gross», skandierten die
Demonstranten, «Muslime sind keine Terroristen», riefen andere, und
einige Reporter wollen auch den Ruf «Tod den Christen!» gehört haben.
Neben dem albanischen Doppeladler trugen die Demonstranten grüne
islamische Banner mit sich.

Eine schillernde Figur

Für
Ramadan Ramadani, einen islamischen Prediger und Theologen, hat damit
ein «neues politisches Moment» begonnen. «Dieser Protest richtete sich
einerseits gegen die Islamophobie in Mazedonien und den Traum der
Regierung, eine christlichen Hegemonie in diesem multireligiösen Land
durchzusetzen», erklärt der Theologe in seinem Büro im Stadtzentrum.
Aber die Demonstration verkörpere ebenso den Widerstand gegen die
herrschende albanischen Politikerkaste.

In der Tat machte der
Protestzug nach dem Abmarsch von der Jaja-Pasha-Moschee auch beim
Hauptquartier der DUI halt. Steine wurden geworfen und Schmährufe
skandiert. «Die albanischen Parteien lassen die jungen Leute in
religiösen Fragen völlig im Stich. Kein Wunder, ihre Führer sind
atheistische Ex-Kommunisten ohne jede Ahnung in religiösen Fragen.» Es
gehe ihm nicht darum, sagt Ramadani, auf politische Fragen von
Diskriminierung und Vetternwirtschaft rein religiöse Antworten zu
finden. «Ich bin kein Islamist.» Aber die albanische Politik müsse ihr
Verhältnis zum Islam klären. Ramadani gilt in der Öffentlichkeit als
schillernde Figur. Seine Gegner in der Islamischen Gemeinschaft
behaupten, er sei ein Fundamentalist. Als er im Sommer 2010 seines Amtes
als Prediger in der Isa-Bey-Moschee enthoben wurde, weigerte er sich
zunächst, dieses aufzugeben. Mit einem Tumult verhinderten seine
Anhänger, dass sein Nachfolger seinen Platz einnehmen konnte.

Als
Sprecher der Bewegung für den Wiederaufbau der Burmali-Moschee ist
Ramadani auch vielen Mazedoniern bekannt – und verdächtig. «Alles
Unsinn», sagt Ramadani lachend. «Die Islamische Gemeinschaft ist eines
der letzten kommunistischen Gebilde im Land, und sie fürchten meine
Konkurrenz. Was die Mazedonier betrifft, so schreibe ich regelmässig
Zeitungskolumnen – meine Ansichten sind öffentlich.»

Posten für die eigene Klientel

Neben
der orthodoxen «Aufrüstung» in Mazedonien gibt es einen zweiten
wichtigen Grund für den steigenden Einfluss des Islam bei jungen
Albanern: die abnehmende Bindungskraft der albanischen Parteien. Seit
acht Jahren an der Macht, hat die DUI viel von ihrem Glanz verloren. Sie
war 2001 mit dem Versprechen angetreten, die nationale Emanzipation der
Albaner in Mazedonien auf politischem Weg zu vollenden. Heute zeichnen
Albaner aus verschiedenen sozialen Schichten das Bild einer Kaderpartei,
die ihrer Klientel schamlos zu Posten verhilft. Zudem sei die
DUI-Spitze dem taktischen Geschick von Ministerpräsident Nikola Gruevski
hoffnungslos unterlegen.

Die oppositionelle DPA ist für diese
Unzufriedenen, unter denen sich viele prominente Intellektuelle
befinden, keine Alternative. Ihrem Präsidenten, Menduh Thaci, der mit
eiserner Faust seine Getreuen führt, fehle es an politischer Vision und
moralischem Kredit. Diese Parteiorganisationen, so meint der junge
Sozialwissenschafter Artan Sadiku, wirkten auf viele Albaner seiner
Generation im besten Fall wie Stellenvermittlungsagenturen, im
schlechteren wie Tarnorganisationen für trübe Geschäfte. Ein junger
Mann, unzufrieden mit seinen Perspektiven, hungrig nach Engagement,
Gemeinschaft und Anerkennung, werde eher in einer der islamischen
Gemeinschaften fündig.

Dafür spricht vieles. Man besuche die
Dizonska, ein heruntergekommenes Viertel im Norden Skopjes. Hier sind
freitags die Moscheen voll. Und es sind nicht mehr bloss alte Männer,
die angesichts des nahenden Endes die Gemeinschaft der Gläubigen suchen.
In Gruppen schwatzend und lachend verschwinden die jungen Besucher der
Moschee nach dem Abschluss der Gebete in den Seitenstrassen. Für
politische und religiöse «Unternehmer» sind Mazedonien und die junge
albanische Bevölkerung ein interessanter Markt.


[Quelle: http://www.nzz.ch/aktuell/international/wie-in-skopje-eine-nation-gebaut-wird-1.17378087]




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New PostErstellt: 09.03.13, 20:53  Betreff: Re: Wie in Skopje eine Nation gebaut wird ‎  drucken  weiterempfehlen

Mazedonien ist ein Chaos Staat inzwischen vollkommen korrupt.

Und Ali Ahmeti der Wurzel Zwerg, war immer schon ein Witz Figur, und 2001 sprach ich mit ihm mal. Einige seiner Freunde, waren hundert Mal klüger.




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