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Rückkehr ohne Rösti, aber mit Moleskine

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Beziehung zum Thema Albanien: Albanienliebhaber
Interessen: Bücher, Sprachen, Musik, Philosophie, Religion, Backen, u.v.m.


New PostErstellt: 06.10.09, 19:18  Betreff: Rückkehr ohne Rösti, aber mit Moleskine  drucken  weiterempfehlen

Rückkehr ohne Rösti, aber mit Moleskine





Ich
musste also nach drei Wochen meinen Geliebten (Mazedonien) verlassen
und zu meinem Ehemann (Schweiz) zurückkehren, der hoffentlich schon mit
Raclette und Rösti auf mich wartete (nach drei Wochen Burek und
Cevapcici hatte ich dies dringend nötig). Es ist an der Zeit, ein
Resümee zu ziehen und die ganzen schönen Momente noch einmal gedanklich
Revue passieren zu lassen: Die langen Abende mit meinen
Lieblingscousins und -cousinen mit viel Gelächter, und wenn wir nicht
gelacht haben, dann haben wir gegessen. Die Besuche in Ohrid und
Struga, die Hochzeit meiner Cousine, das unbeschreibliche Gefühl, die
Leute auf der Strasse die eigene Muttersprache reden zu hören, die
Hitze, die mir keinen Moment lang unangenehm war, die vielen Stunden,
die ich lesend auf dem unbequem scheinenden Treppenabsatz verbracht
habe.


 


Horizonterweiterung


Mittlerweile habe ich mit zwei Cousins folgendes
zur Gewohnheit gemacht: Jedes Jahr, wenn wir in Mazedonien Ferien
machen, stossen wir in eine der hintersten Regionen des Landes vor. Wir
versuchen dann so viel wie möglich über die Einheimischen zu erfahren
und erkundigen uns über die Traditionen und die Geschichte des Dorfes.
Einige mögen es vielleicht komisch finden, wenn sich drei junge Leute
einfach in einem fremden Dorf in ein Café setzen und hoffen, so schnell
wie möglich von älteren, weise anmutenden Herren umgeben zu werden,
aber für uns ist dies die perfekte Möglichkeit, in ein lockeres
Gespräch zu kommen.


 


Eine Horizonterweiterung, die nicht immer
erfreulich verläuft: Auch in diesem Jahr unternahmen wir wieder eine
Reise. Diesmal in den Norden Mazedoniens, etwa drei Stunden Fahrzeit
von unserem Aufenthaltsort entfernt. Schlussendlich hatten wir uns dann
in ein kleines, wirklich extrem abgeschiedenes Bergdörfchen verirrt und
gleich vor einem Lebensmittelladen eine Gruppe kartenspielender Herren
angetroffen. Nach einer kurzen Einführung ins Spiel waren wir schon
mittendrin statt nur dabei. Schnell war unser Reisegeld verzockt. Kurz
bevor wir ganz pleite waren (wir haben unser Geld wiederbekommen),
boten uns die Herren eine kleine Führung durchs Dorf an. Der
Spaziergang hatte uns restlos begeistert. Selten haben wir so viele
Geschichten und Legenden über ein Dorf gehört wie an diesem Ort. Als
wir uns schon wieder auf dem Rückweg zum Laden befanden, bemerkten wir
plötzlich eine schwarze Gestalt. Genauer gesagt, eine in einen
"Ganzkörpermantel" gehüllte Person. Bei Temperaturen um die 40° Grad
ein eher seltener Anblick. Wir wollten natürlich wissen, was es mit
dieser ominösen Gestalt auf sich hat. Antwort: "Die Frauen in unserem
Dorf müssen sich in diesen Mantel hüllen, bevor sie das Haus verlassen.
Auch das ist eine Tradition."


 


In der Ehre gekränkt


Ich dachte, ich müsste mich gleich übergeben. Wie
konnte dieser sympathische, offene und herzliche Herr dies mit so einer
Selbstverständlichkeit sagen, als wäre es das Normalste der Welt?! Als
einzige Frau in der Runde traf mich dies besonders hart. Die
anschliessende Diskussion war zwar sachlich, aber die Stimmung war
nicht mehr dieselbe. Mir läuft es immer noch kalt den Rücken herunter,
wenn ich daran denke.


 


Die Vorbereitungen für die Heimfahrt lenkten mich
zum Glück ein wenig von diesem Erlebnis ab. Da ich aus meinen Fehlern
lernen kann, hatte ich (anders als bei der Hinfahrt) frühzeitig
gepackt. Schon Stunden vor Abfahrt waren meine Sachen fixfertig. Ich
wartete auf dem Sofa und trank eine kalte Ovi (hatte ich extra aus der
Schweiz mitgenommen), während der Rest hektisch um mich herumeilte. Ich
habe ja gesagt, dass ich eigentlich ein organisierter Mensch bin. Bis
ich dann, als wir schon eine halbe Stunde unterwegs waren, gemerkt
hatte, dass ich mein heissgeliebtes Notizbuch vergessen habe. Meine
ganzen Ideen und Notizen sollten für ein ganzes Jahr nutzlos in
Mazedonien herumliegen?!


 


Lebenswichtiges Notizbuch


Ich benötigte eine weitere halbe Stunde, in der wir
wohlgemerkt in die selbe Richtung weiter gefahren sind, um meinen Vater
von der Wichtigkeit dieses Notizbuches zu überzeugen (es sind Worte wie
"lebenswichtig", "essentiell" und "zukunftsweisend" gefallen). Es
wirkte. Für die zusätzliche Reisezeit und die damit verbundenen
Unannehmlichkeiten wurde ich mit eisigem Schweigen bestraft. Bis
Serbien hatte mein Vater nur über meine Mutter mit mir kommuniziert,
was im Grunde genommen recht witzig war.


 


Folglich hatte mein Vater darauf bestanden, zu
lesen, was in diesem "so besonderen" Notizbuch drin steht. Ich muss
dazu sagen, ich finde es unangenehm, wenn jemand vor mir liest, was ich
geschrieben habe, dabei sogar noch nickt oder sonst irgendwelche
komischen Gesichtsverrenkungen, Töne oder ähnliches von sich gibt. Ich
konnte ihn zum Glück davon überzeugen, dass er meine Schrift eh nicht
lesen kann. Nach einem Blick in mein Notizbuch hatte er mir es dann
auch geglaubt.


 


Ich würde nun gerne etwas herzzerreissendes
schreiben über den Moment, als ich wieder schweizerischen Boden
betreten hatte. Dummerweise hatte ich diesen denkwürdigen Moment
verschlafen. Theodor Fontane sagte einst: "Abschiedsworte müssen kurz
sein wie eine Liebeserklärung". In diesem Sinne: Do gledanje oder auf
Wiedersehen!

[Quelle: http://www.tink.ch/schweiz/new/article/2009/09/28/rueckkehr-ohne-roesti-aber-mit-moleskine/]




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Next time the devil tells you "You're stupid" say "No, you're stupid - ...I'm going to heaven, you ain't getting in".
~Joyce Meyer~
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